Egeland, Tom
brennende Bleigewichte. Ich jammere.
» Verbrennungen von der Sonne «, sagt die Stimme.
Ich kenne sie von irgendwoher.
Ich lasse den Kopf zur Seite rollen.
Ich sehe seine Knie.
Die Hände, die in seinem Schoß liegen.
Wie ein besorgter Großvater sitzt Michael MacMullin auf einem Stuhl an meinem Bett. Seine Augen gleiten an meinem Körper auf und ab. » Verbrennungen zweiten bis dritten Grades an den Händen, dem Kopf und dem Nacken «, sagt er. » Und ein Hitzschlag natürlich. Dehydrierung. Das hätte wirklich übel enden können. «
Ich stöhne. Vorsichtig richte ich meinen Kopf auf. Im Grunde fühlt es sich so an, als habe es bereits übel geendet. Mi t s teifen Bewegungen versuche ich, mich hinzusetzen. Mir wird schwindelig. Mit beiden Händen halte ich mich an dem blanken Stahlgestell des Bettes fest.
» Wir haben Sie nur durch Zufall gefunden «, sagt er.
Er trägt keine Waffe, aber das hat natürlich nichts zu bedeuten. Sie haben sicher humanere Methoden, lästige Albinos loszuwerden. Zum Beispiel eine Spritze. Oder sie binden uns nackt an einen Pfahl in der Wüste und pfeifen die Ameisen herbei.
Hinter dem Vorhang erahne ich eine andere Gestalt. Lauschend, leicht vornübergebeugt.
Es können nicht so viele Tage vergangen sein. Die Zeit verfliegt, wenn man Spaß hat. Draußen vor dem Fenster raschelt Laub. Eichen? Espen? Ich liege zu tief, um es sehen zu können, aber irgendwie fühle ich, dass ich nicht mehr in der Wüste bin. Die Sonne ist freundlicher, das Licht weicher. Die Luft duftet nach Dünger und Vegetation.
» Wo bin ich? «, krächze ich. Die Wüste hat meine Stimmbänder mit Sand bestrichen.
» Sie sind hier sicher, Bjørn. Haben Sie keine Angst. « Seine Stimme klingt freundlich, warm, mild.
Ich kann meinen Blick nicht von dem Schatten hinter dem Vorhang nehmen.
» Sie geben Ihnen Morphium gegen die Schmerzen «, sagt er. » Und eine ganz besondere Salbe auf der Basis von Aloe vera. Das Morphium macht Sie möglicherweise ein bisschen schläfrig und schwindelig. «
Ein stechender Schmerz jagt durch meinen Körper.
Seine Hände liegen ruhig auf meiner Decke. » Bjørn, mein tapferer, junger Freund. Das alles ist schon viel zu weit gegangen. Bitte. Wollen Sie mir nicht sagen, wo Sie den Schrein versteckt haben? «
Während ich ihn ansehe, ohne zu antworten, fallen mir vo n g anz allein langsam die Augen zu. Etwas später höre ich ihn gehen.
Der Schatten ist verschwunden.
∗ ∗ ∗
I n dieser Nacht trinke ich ungefähr tausend Liter. Eine Krankenschwester überprüft regelmäßig, ob es mir gut geht und ob das Morphium wirkt. Es tut seine Wirkung, danke, ich habe wilde Fantasien, und die meisten davon handeln von Diane.
Im Fieberwahn warte ich auf ihren nächsten Schachzug.
∗ ∗ ∗
E s ist Diane.
Ein leichtes Klopfen an der Tür weckt mich gegen Morgen aus meinem Dämmerschlaf.
Eine helle Stimme sagt: » Wie geht es dir heute? « Die Stimme klingt gleichzeitig warm und kalt –schüchtern, feierlich, suchend –, als wäre ich zwei Jahre im Krieg gewesen und ohne Arme und Beine zu meiner Geliebten zurückgekehrt.
Diane tritt ans Fenster. Dort bleibt sie stehen, leicht schräg, mit dem Rücken zu mir. Die Hände sind vor ihrer Brust zu Fäusten geballt. An ihrem Rücken erkenne ich, dass sie schnell und schwer atmet. Oder weint.
Beide warten wir darauf, dass der andere etwas sagt.
» Wo bin ich? «, frage ich.
Sie dreht sich langsam um. Ihre Augen sind rot und voller Tränen. » Wie du aussiehst! «, sagt sie.
» Ich bin spazieren gegangen. In der Wüste. «
» Du hättest sterben können! «
» Davor hatte ich Angst. Deshalb bin ich geflohen. «
Sie sagt: » Er ist mein Vater. «
Sie ist so süß, wenn sie so dasteht. Wie ein Engel.
» Hörst du? Mein Vater! «, wiederholt sie.
» Wer? «, frage ich.
» Michael MacMullin! «
Ich blicke auf meine Hände. Die Bandagen. Die Fingerkuppen, die sie liebkost haben.
» Er ist mein Vater «, sagt sie ein drittes Mal.
Ich bewahre meine Fassung. Nicht ein Gefühl dringt an die Oberfläche. Nicht ein Wort kommt mir über die Lippen. Ich sehe sie an. Sie wartet darauf, dass ich etwas Erlösendes sage. Ich tue es nicht. Ich versuche nur zu verstehen.
» Du darfst das nicht missverstehen «, sagt sie. Sie kommt näher. Drückt ihre Fäuste gegen die Brust. » Es ist nicht so, wie du glaubst. «
Ich bin stumm.
» Wir haben uns durch Zufall kennen gelernt «, sagt sie. » Du und ich. Dass wir … einander
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