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Egeland, Tom

Titel: Egeland, Tom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frevel
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Trygve hätte sterben sollen. «
    Ich versuche, meine Gedanken zu sammeln, zu verstehen, was unter der Oberfläche brodelt.
    » Verstehst du, was ich sage? «
    Ich ziehe die Schultern hoch. » Nein … «, sage ich.
    » Es war Birger, der die Sicherungen manipuliert hat. Damit Trygve abstürzte. «
    Sie wendet sich ab. Vermag meinem Blick nicht zu begegnen. Als sei das alles ihre Schuld.
    » Trygve hätte an diesem Tag sterben sollen «, sagt sie noch einmal. Kurz. Kalt. » Unmittelbar vor eurer Abreise hatte mir Birger erzählt, er habe vor … « Sie hält inne. » Irgendetwas mit den Sicherungen. Ich weiß nicht, was. Auf dass er … ich hätte niemals gedacht, dass er wirklich … Ich dachte niemals … niemals! « Sie dreht sich mir zu, sucht mit ihrer Hand nach meiner. » Dein Vater hat versucht, Trygve umzubringen. Und dann ist etwas schief gegangen. «
    Lange sitzen wir da und halten uns an den Händen. In mir ist Leere, Schweigen. Nur losgerissene Bilder: der graublaue Fels, das Seil, das sich über das Geröllfeld schlängelt, Mamas Heulen, der Berg Kleider am Fuß der Steilwand, das Blut, der Baumstamm an meinem Rücken, die Rinde, die mir den Nacken aufscheuert, während ich zusammensacke.
    Ich frage mich, ob Mama und der Professor in all den Jahren davon gewusst haben.
    ∗ ∗ ∗
    G rethe döst ein. Ich gehe auf den Flur. Lasse mich vor ihrer Tür auf einen Stuhl fallen. Meine Gedanken haben sich verknotet.
    An der gegenüberliegenden Wand, zwischen den Türen, zähle ich fünfzehn Fliesen in der Höhe und hundertvierzig in der Breite. Insgesamt zweitausendeinhundert graue Fliesen. Auf einem Aluminiumrolltisch haben sie ein Herbarium ver trockneter Blumen zusammengetragen.
    Etwas später gehe ich zu ihr zurück. Die Augen sind geschlossen. Sie liegt still.
    » Grethe? «
    Unsichtbare Fäden zupfen an ihren Augenlidern. Sie kämpfen sich hoch. » Ich bin ein zähes, altes Leder «, sagt sie.
    » Du hast ein Kind geboren. «
    Unter halb geschlossenen Lidern sieht sie mich an. Ihr Blick durchläuft eine rasche Veränderung.
    » Ich habe sie getroffen «, sage ich.
    Grethe starrt an die Decke.
    » Es geht ihr gut. Diane. Ein hübsches, junges Mädchen «, sage ich.
    Ihr Lächeln kommt tief von innen. » Das schönste kleine Mädchen auf der ganzen Welt. « Ihre Stimme klingt so zerbrechlich, so dünn. Ihr Lächeln verliert die Kraft. Sie seufzt tief. » Ich war nicht die Mutter, die sie brauchte. « Ein leises Stöhnen kommt über ihre Lippen. » Ich hatte das nicht in mir. Michael –bei ihm war das anders. Ich dachte, es wäre besser so. Dass sie … bei ihm blieb … und nie etwas von mir erfuhr. «
    Sie hustet. Es klingt schmerzhaft. Sie will etwas sagen. Ich ermahne sie, still zu bleiben. Ihre Lippen bewegen sich. Stimmlos erzählt sie mir etwas.
    » Ich bleibe bei dir «, sage ich leise.
    » So müde «, haucht sie.
    Ich streichle ihre Hand. Sie jammert. Und sieht mich an. Versucht, etwas zu sagen, aber ihr Körper will nicht. Sie hustet weiter, doch sogar das Husten ist ohne Kraft. Ihr Atem geht langsam und angestrengt.
    Sie versucht, sich auf die Ellenbogen aufzurichten, sackt aber wieder zusammen.
    » Ruh dich aus «, flüstere ich und streichle ihr über die Stirn. Sie ist kalt und klamm.
    ∗ ∗ ∗
    E ine Stunde vergeht …
    ∗ ∗ ∗
    I ch halte ihre Hand. Sie wacht auf und schläft wieder ein, wacht auf und schläft ein. Manchmal sieht sie zu mir auf.
    Zögernd lege ich ihre Hand auf die Decke und gehe nach unten in die Kantine, wo ich ein Sandwich esse. Es ist in Zellophan gewickelt und schmeckt auch danach. Als ich zurü ckk omme, liegt Grethes Hand noch exakt so, wie ich sie hingelegt hatte. Ich ergreife sie und drücke sie sanft. Ich spüre, dass sie versucht, den Druck zu erwidern.
    So bleiben wir eine ganze Weile sitzen. Zum Schluss atmet sie so leise, dass ich es nicht mehr hören kann. Die Geräusche vom Flur schallen zu uns herein. Leise Schritte, gedämpftes Lachen, ein quengelndes Kind. Eine Schwester ruft eine Kollegin.
    Grethes Hand liegt schlaff in der meinen. Ich drücke sie. Sie vermag den Druck nicht mehr zu erwidern. Wir hätten Stunden so sitzen können, wäre da nicht der Apparat gewesen. Einige der Schläuche, die aus ihrem Krankenhauspyjama herausragen, verschwinden in einer Apparatur mit Schalter und Displays mit leuchtenden Zahlen. Jetzt beginnt das Gerät zu piepen. Gleichzeitig tickert ein Papierstreifen mit zwei Kurven aus der Apparatur. Ein Zucken geht

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