Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)
Widersprüche produziert. Das Ergebnis ist, dass man in einer Gesellschaft lebt, die Philip K. Dick voraussagte: Nichts bedeutet mehr, was es ist, und das eigene Leben wird zu einer einzigen Risiko- und Wahrscheinlichkeitsrechnung.
15 Schizophrenie
Die Welt ist viel geeigneter für egoistische Automaten als für verträumte Menschen
E rstaunlich, wie widerspenstig die Menschen sind, wenn man sie zu Egoisten machen will. Man hat ihnen das hochmoderne Menschenbild des Eigennutzes präsentiert, aber die meisten spielen nicht richtig mit. Im Gegenteil: Es zeigt sich, das zwischen dem, wie sie sein sollen, und dem, wie sie sind, ein fast unüberbrückbarer Abgrund klafft.
Schon im Jahre 1955, als die Spieltheorie – noch ohne Computer, aber konstruiert wie ein Automat – modern wurde, warnte JohnW.Campbell vor einer Übertragung mathematischer Spielregeln auf die Gesellschaft: »Menschen, die in einer Kultur des verdeckten Spielens aufwachsen, werden horrende psychische Probleme bekommen.«
Gemeint war: das Aufwachsen in einer Gesellschaft, in der nichts bedeutet, was es bedeutet. Zu handeln, wie man nicht denkt, und zu denken, was man nicht weiß, produziert enorme Widersprüche, die man, wie bei einer Krankheit, an ihren Symptomen erkennt.
Einige spüren mittlerweile den großen Widerspruch, und der führt, wie von John W. Campbell vorausgesagt, zu »horrenden« psychischen Problemen beim Aussprechen der Wahrheit. Einerseits eine Welt der »Schwarmintelligenz«, der »Vernetzung«, der »Transparenz«, der »Partizipation« und »Kooperation, die vom Blog bis zum arabischen Frühling reicht. Andererseits von allem das Gegenteil und mehr denn je: selbstsüchtige Schattennetzwerke von einem Kaliber, bei dem es nicht mehr um Steuerhinterziehung, sondern um vernichtete Milliarden und fallende Staaten geht bei gleichzeitigen erheblichen persönlichen Profit der Verursacher.
Oder: Wissensökonomie bei gleichzeitiger Auszehrung der Wissensinstitutionen. Oder: Transparenz bei gleichzeitiger Installation intransparenter Gouverneursräte und unzuständiger Parlamente. Oder: Anonymität bei gleichzeitiger Enthüllung des Intimsten. Oder: »Partizipation« bei gleichzeitiger Diskreditierung von Plebisziten, die die »Märkte« als die wahren Abstimmungsmaschinen verunsichern könnten. Oder: absolute »Kreativität« und Ruhm-Versprechen für jeden bei gleichzeitiger Inflation von Selbstausbeutung und unbezahlter Mikroarbeit. Oder: »Ende der Arbeit« bei gleichzeitiger Beglückung von Schwellenländern mit »sweat-shops« die aus einem Dickens-Roman stammen könnten. Schließlich: »Kooperation« bei gleichzeitiger Bevölkerungsexplosion des egoistischen ökonomischen Agenten in allen digitalen Plattformen.
Widersprüche, wie die hier aufgeführten, sind der Grund, warum sogar enthusiastische Vordenker der Netzwerkgesellschaft erschreckt eine »strukturelle Schizophrenie zwischen Funktion und Bedeutung« registrieren und warum Paranoia zum Wesensmerkmal von Kommunikation zu werden droht. 147
Selbst die Fans von Nummer 2 bestreiten das nicht. Sie antworten schlicht, dass die Probleme nur deshalb entstehen, weil wir immer noch zu sehr Nummer 1 sind. Alles eine Frage der Einstellung, sagt Ken Binmore und fügt aufmunternd hinzu, dass es für gelingende Kooperation in einer Gesellschaft nicht notwendig sei, dass »ihre Bürger Dr. Jekylls sind, die sich gegenseitig wie Brüder behandeln«. 148
Doch die Widerspenstigkeit von Menschen, bei diesem Spiel mitzuspielen war ein nicht zu unterschätzendes Problem. Menschen hatten sich für die spieltheoretischen cut-throat -Rationalitäten als etwas zu unberechenbar erwiesen. Ein bisschen zu viel Mensch und ein bisschen zu wenig Automat verunreinigten die alchemistische Formel. Also wiederholte sich nun, was das Militär im Kalten Krieg vorgemacht hatte: Menschen durch Automaten, »zu denen sie Vertrauen haben«, handeln lassen. Wäre es in Zeiten, wo Menschen und Märkte über das Internet und elektronische Börsen blitzschnell verkehren, nicht hilfreich, Nummer 2 die ganze Arbeit allein machen zu lassen?
»Spieltheorie«, rief Nir Vulkan, einer der Vordenker elektronischer Märkte am Vorabend des kommerzialisierten Internets, aus, »ist sehr viel geeigneter für Automaten als für Menschen.« 149
Das ist die Botschaft: Wir brauchen Euch nicht. Nicht nur, weil Ihr zu langsam seid und manchmal an den Bildschirmen einschlaft, sondern weil wir die Chance haben, bessere
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