Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)
Verlierer kennen wird, entschließen sich die Nationen – nein, nicht zur Spieltheorie, sondern zu einer Weltregierung.
Soddy selbst prägte aufgrund dieses von ihm heiß geliebten Buches in den Dreißigerjahren den Begriff des »virtuellen Reich tums« und formulierte eine Theorie des unwirklichen Kapitals, die in erstaunlicher Weise die »Ökonomie des Geistes« vorwegnahm.
1932 las der junge Physiker Leó Szilárd ebenfalls tief beeindruckt den Roman. Ein Jahr später entdeckte er die atomare Kettenreaktion und übergab das Patent der britischen Regierung, weil er, wie er sagte, seinen Wells verstanden hatte. Und sieben Jahre später war es Szilárd, der wiederum mit ausdrücklichem Hinweis auf Wells’ Roman das Manhattan-Projekt und damit den Bau der Atombombe durchsetzte.
So viel zu beabsichtigten und unbeabsichtigten Konsequenzen technologischer Utopien, die fast alle die gleichen Träume träumen.
Sie werden, so viel kann man allerdings sagen, im Laufe der Zeit realistischer und profitabler für den Träumer. Aus Soddys Transmutation entstand kein Gold, sondern die Atombombe, und mit der Atombombe kam die neue Rationalität im Gewand der Spieltheorie.
Im zweiten Anlauf, nach Ende des Kalten Kriegs, verzichtete man darauf, wirkliches Gold in der wirklichen Welt herstellen zu wollen (beließ es aber bei der Spieltheorie und Nummer 2). Nun ließ man den Computer und seinen spieltheoretischen Agenten den Menschen die König-Midas-Botschaft ins Ohr flüstern: Alles, was du durch mich anfasst, wird zu Gold …
»Der wirkliche Kapitalist«, schrieb George Gilder, »hat den Anti-Midas-Touch. Er verwandelt die Unmengen an Gold und Liquidität durch eine Alchemie des schöpferischen Geistes in Kapital und wirklichen Reichtum.« 207 Das war nichts anderes als der »virtuelle Reichtum«, der bereits durch die Köpfe der Dreißigerjahre gegeistert war.
In seinem Buch »Bad Money«, das die Schuldenkrise von 2007 nachzeichnet, zeigt Kevin Phillips, wie sehr die Handelnden der Wall Street sich zunehmend in einem buchstäblich geistesgestörten Milieu bewegen, aber zunächst nur immer erfolgreicher werden. 208
Unter allen Ressourcen, deren Unerschöpflichkeit der neue Kapitalismus gepriesen hatte, war Geld diejenige, bei der die Theorie, dass jeder alles haben kann, tatsächlich zu funktionieren schien. Die Zunahme des virtuellen Geldes hatte zwar die Schulden wachsen und die Ersparnisse schrumpfen lassen, aber auch jeden Wunsch vom Auto bis zum Eigenheim erfüllt.
Das Ausmaß der Transmutation widersprach allen bisher geltenden Gesetzen. »Kann man ohne Geld ein Haus kaufen und das nicht existierende Geld auch noch ausgeben?«, fasste der Computerhistoriker George Dyson die Anomalie zusammen. Man kann, sagten ganze Industrien, die ihre Betriebsanlagen nicht mehr besaßen, sondern outsourcten.
Es war kein Zufall, dass am absoluten Höhepunkt des Hypes Rhonda Byrnes Super-Bestseller »The Secret« in den Bestsellerlisten auf der Leiter der Chuzpe noch einige Stufen höher stieg. Diejenigen, die reich sind, verdienen ihren Erfolg, schrieb sie, »weil sie ihn angezogen haben«.
Schon kurz vor der Krise 2007 war klar, dass die Verheißungen der neuen Ökonomie nicht eingetroffen waren. Der Informationskapitalismus hatte zwar Gewinner produziert, allerdings Gewinner in einer »Winner takes it all«-Gesellschaft. Obwohl jedermann sah, dass in Amerika und in Europa zum ersten Mal die Einkommen der Mittelschichten auf Dauer zu schrumpfen schienen und die Mehrzahl der Löhne nicht mehr an das Wachs tum der Produktivität oder der Profite gekoppelt war, änderte das nichts an dem grenzenlosen Optimismus der Eliten.
Deutschland, ein Land ohne die religiöse Erweckungstradition der USA , übernahm aus dem Werkzeugkasten der »Ökonomie des Geistes« vor allem jene Bestandteile, die am besten zu seiner eigenen Geistesgeschichte zu passen schienen. In einer ebenso trivialen wie verräterischen sozialen Programmierung wurde von jedem Expertenpodium die »Wissensgesellschaft« verkündet und das »lebenslange Lernen« zur Pflicht gemacht.
Das war trivial, weil die Schule des Lebens zu den Stereotypen schlechthin gehörte. In einer Kultur, die den Bildungsroman hervorgebracht hatte, mehr als irgendwo anders. Es war aber auch verräterisch, weil die Gesellschaft in Wahrheit nicht mehr wusste, was man in der dritten industriellen Moderne wissen und wie man lernen sollte.
Schaut man aber genauer hin, entdeckt man in den Slogans
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