Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort
Damals wollten die Eisenbahngesellschaften die neue Union Station an der Ecke Fourth und Central bauen. Dort war in alle Richtungen freie Fahrt, das hätte ein schöner Bahnhof für die Hochbahn werden können. Aber Chandler gehörten Immobilien an der Plaza, in der Nähe des alten Chinatown, also wollte er die Union Station lieber dort haben. Er setzte die Times darauf an, und jetzt steht die Union Station an der Plaza, wo man mit Straßenbahnen nicht hinkommt.« Geschäfte mit Baugrund, dachte Loeser, ganz wie bei dem Mord von Louis XIV . an Villayer, damit Villayers Postamt den Wunderhof nicht aufwerten konnte. Vielleicht waren Städte im Grunde das: Grundstücksgeschäfte, die auf andere Grundstücksgeschäfte aufbauten, die wiederum auf anderen Grundstücksgeschäften fußten, alles mit ein paar Millionen warmer Körper als Mörtel. »Egal, diesmal lassen wir nicht zu, dass Chandler uns in die Quere kommt. Darf ich mal Ihren Kugelschreiber haben, Rackenham? Danke.« Plumridge breitete seine Serviette auf dem Tisch aus. »Wir bauen den Endbahnhof nicht in der Innenstadt, sondern oben in North Hollywood, am Fuß der Hügel. Und dann schließen wir alle Vororte von Los Angeles an.« Er skizzierte eine Stadtkarte, mit einem großen Kästchen an der Kreuzung Sunset Boulevard und North Kings Road und Trassen, die sich in alle Richtungen wanden. »Zum Beispiel könnten Sie von Venice Beach aus in dreißig Minuten in Pasadena sein, Rackenham, wenn Sie den Express nehmen. Wie lange haben Sie heute bei dem Verkehr gebraucht? Eine Stunde? Anderthalb?« Dann langte Marsh quer über den Tisch, um auf einen Fehler hinzuweisen, kippte dabei Loesers Glas um und verschüttete das Ginger Ale auf die Serviette.
»Beim Leib Christi!«, schrie Gorge und sprang auf. »Woodkin, ans Telefon! Die Zeitungen! Krankenwagen! Tausende ertrunken!«
»Das ist nur eine Karte, Sir. Das ist nicht das echte Hollywood.«
Gorge hustete und setzte sich. »Karte. Natürlich. Entschuldigung. Mehr Ginger Ale für Loeser.«
»Wir machen das so schnell und billig und modern, wie man es noch nie gesehen hat«, sagte Plumridge. »Wir haben alles Mögliche vor. Es wird Wagen geben, da kann man bei Sonne das Dach aufklappen wie bei einem Cabrio. Wir statten die Wagen mit Wasserspendern und Zeitschriftenständern aus wie im Drugstore. Kaffee. Abends vielleicht Cocktails. Jazzbands. Die Leute werden sich bald daran gewöhnen, ihre Packards zu Hause zu lassen. Sie wissen, dass sie überall eine Straßenbahn nach Hause erwischen werden – wo sie auch landen, sie bleiben nie irgendwo stecken. Also fangen sie an, zu Fuß zu gehen. Und dann merken sie, wie bekloppt es ist, in ein Auto zu steigen und sich eine Stunde durch den Verkehr zu quälen, nur um ein Steak essen zu gehen. Dann gehen sie vielleicht in das Lokal an der Ecke. Wissen Sie, meine Frau kommt aus New York. Früher ist sie immer zu Fuß gegangen, von Kindheit an. Sie kann es hier nicht leiden. Vielleicht kriegen wir es hin, dass Los Angeles sich irgendwann wie New York anfühlt.«
»New York ist eine schmutzige, altmodische Stadt«, sagte Marsh, während die Hausmädchen den Tisch abräumten. »New York ist für Pferdefuhrwerke gebaut worden. Heute haben wir elektrischen Strom. Telefon. Autos. Auf räumliche Nähe kommt es nicht mehr an. Die Städte von heute sind wie Wasser. Sie pegeln sich in dem ihnen zur Verfügung stehenden Volumen auf ihren eigenen Wasserstand ein.«
»Aber wozu haben wir dann das Gesetz gegen hohe Gebäude in der Innenstadt gebraucht? Wenn die Menschen sich hier so unbedingt zersiedeln wollen, warum müssen wir ihnen dann explizit verbieten, Wolkenkratzer und Penthouse-Wohnungen zu bauen?«
»Weil wir beim nächsten Erdbeben nicht denselben Zerstörungsgrad wollen wie damals in San Francisco. Oder Lissabon. Die Lektion ist nicht neu. Rousseaus Brief an Voltaire haben Sie gelesen? ›Es war wohl nicht die Natur, die dort zwanzigtausend Häuser zu je sechs oder sieben Stockwerken erbaut hat.‹«
»Zwischen zwei Erdbeben dieser Art vergehen Hunderte von Jahren. Das Gesetz ist drakonisch. Es beweist nur, dass die Menschen sich nach dem Gedränge sehnen! In Wahrheit sind die ›Städte von heute‹ nicht wie Wasser, sie sind wie Öl. Sie breiten sich aus und bleiben kleben und machen Flecken. Wissen Sie, wenn wir nichts dagegen unternehmen, werden binnen eines Jahrzehnts vier Fünftel der Innenstadt von Parkplätzen eingenommen sein. Vier Fünftel! Wer wird in so einer
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