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Ehe auf krummen Beinen

Ehe auf krummen Beinen

Titel: Ehe auf krummen Beinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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Gelehrsamkeit. An sämtlichen Wänden standen Bücherschränke, und die Bretter bogen sich unter den Folianten. Neben dem Fenster lehnte eine Standuhr, die älter aussah als das Haus. Sie hatte nur noch einen Zeiger, und ihr Pendel stand still wie ein Pilz im Walde. Dann war noch ein gigantischer Schreibtisch mitten im Zimmer, mit einem Sessel davor, der auch einen Elefanten getragen hätte. Das war alles. Kein Teppich, keine warmen Ecken und weichen Kissen. Die armen Juristen.
    Wir schnüffelten ein bißchen in den Winkeln herum, aber überall roch es gleich, und es fand sich nichts, was zum Zernagen aufforderte. In die Schränke konnte man nicht hinein und zur Tür nicht hinaus. Wir starrten uns an und überlegten, was wir machen sollten. Pepi hätte sich gern zum Schlafen niedergelegt, denn es war immerhin schon elf Uhr vormittags, aber weit und breit zeigte sich keine geeignete Liegestatt für einen älteren Herrn. Blieb einzig der Stuhl. Er hatte lausig hohe Beine. Pepi fand die richtige Lücke, nahm Anlauf und schoß unter der Tischkante durch auf den Sitz. Er war ja auch der Größte von uns.
    Statt sich jedoch zusammenzurollen und unverzüglich einzuschlafen, trieb ihn die Neugier, noch einmal auf den Schreibtisch zu sehen. Das war der Anfang des Ärgers.
    Wir sahen, wie Pepi auf die Tischplatte hopste und oben herumstolzierte, wie ein Hahn auf dem Misthaufen. Auch mich reizte es, ihm gleichzutun und meine Leistungsfähigkeit im Hochsprung zu erproben. Aber ich wollte Loni nicht allein auf der nackten Erde lassen. Plötzlich merkten wir, daß Pepi dort oben mit irgendeiner Arbeit beschäftigt war. Er schien etwas zu schieben und sich mächtig dabei anzustrengen. Wir starrten hinauf und sahen die weißen Umrisse eines gewaltigen Papierstapels auf den Rand der Platte zurutschen. Pepi, der Treusorgende! Er gab uns was zu spielen!
    Es war atemberaubend, anzusehen, wie der Stapel unter dem Druck des emsigen Pepi dem Abgrund näherkam. Er überschritt die Kante. Ein Viertel, ein Drittel, die Hälfte! Wir zogen uns etwas aus der Reichweite zurück. Noch einmal hörten wir Pepi ächzen wie einen Bauarbeiter mit einem Balken. Dann kam die Bescherung herunter. Der Papierstapel klatschte auf den Fußboden, flog auseinander. Einzelne Blätter taumelten hinterher. Als der Knall verklungen war und das letzte Blatt sich zur Ruhe gebettet hatte, sahen wir Pepis Kopf mit den weißumränderten Ohren über dem Rand auftauchen. Er feixte fröhlich, daß ihm das Werk gelungen war, und wir freuten uns mit ihm.
    Es fing harmlos an wie immer.
    Loni schob ihr Näschen an den Papierberg heran, schnüffelte leise, faßte ein Blatt mit den Zähnen und hielt es mir hin. Ich nickte höflich zum Dank, faßte es vorsichtig auf der anderen Seite und zerrte behutsam, um es ihr nicht mit Gewalt wegzureißen. Sie setzte dem Widerstand entgegen. Ich gab nach, zog wieder an, und so trippelten wir eine Weile graziös hin und her, wie auf dem Hofball beim Menuett. Dann aber zog ich etwas zu kräftig, und das Blatt riß mit traurigem Kreischen mittendurch. Wir ließen die Teile los und betrachteten sie erstaunt, als könnten wir uns nicht erklären, wie das passiert wäre. Dann lachten wir uns an und nahmen das nächste Blatt von oben. Wir kamen zum gleichen Resultat, nur etwas schneller. Mit den nächsten fünf Blättern probierten wir, wer stärker ziehen konnte. Als Kavalier überließ ich viermal Loni den
    Sieg und tat so, als käme ich nicht gegen sie an. Die Blätter hielten es trotzdem nicht aus. Aber es waren genug da.
    Mit der Zeit gerieten wir in Hitze und kämpften auch noch um die Hälften. Pepi, der sich inzwischen zur Ruhe gebettet hatte, fand Lust, mitzumachen und kam herunter.
    Das Spiel war ganz einfach. Einer nahm ein Blatt, und die anderen mußten versuchen, ihn zu kriegen und es ihm wegzunehmen. Wer ihn gekriegt hatte, durfte mit einem neuen Blatt davon. Der Haufen wurde schnell kleiner. Die Papierstückchen auch. Plötzlich wurden sie frech, kehrten sich gegen uns und griffen uns an.
    Das war zuviel. Augenblicklich bildeten wir eine geschlossene Front gegen sie. Jeder griff sich, was er kriegen konnte und zerriß es in winzige Bestandteile. Es dauerte nur Sekunden, und im Zimmer sah es aus wie bei einem Schneesturm im Hochgebirge. Manche von den größeren Schnipseln wollten sich verbergen, aber wir fanden und zerkleinerten sie. Wir waren besessen von dem grenzenlosen Ehrgeiz, sie so klein wie möglich zu kriegen. Wir vergaßen

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