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Ehe auf krummen Beinen

Ehe auf krummen Beinen

Titel: Ehe auf krummen Beinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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alles um uns herum,' einschließlich der guten Vorsätze. Binnen einer Minuté hatten wir jeder mindestens ein halbes Pfund Papier im Bauch. Weder das noch anderes hemmte unseren Tatendrang. Bis auf einmal die Tür schmetternd aufflog. Der Landgerichtsdirektor stand im Zimmer.
    Durch den Papierwirbel konnten wir ihn nur undeutlich erkennen. Er hatte die Arme in die Seiten gestemmt und rollte furchtbar mit den Augen. Wir krochen blitzschnell unter den Tisch.
    Dann erhob er seine Stimme und brüllte so laut, daß die Schnipsel vom Erdboden stoben und um ihn herumflatterten. Rübezahl im Walde.
    «Juliane! Sieh dir das an! Komm und sieh es dir an! Diese Buben, diese Ausgeburten, diese Galgenhälse! Den Prozeß zerfressen! Zerstört, mutwillig und voller Tücke! Rudloff gegen Rudloff, diesen Musterprozeß, den ich auszuwerten im Begriffe war! Ein Verbrechen ohne Beispiel! Wartet, ihr Höllenhunde!»
    Er stürmte hinaus. Wir hörten ihn auf der Treppe poltern. Dann näherten sich seine Schritte wieder, und er kam herein, ausgerüstet mit einer längeren Reitpeitsche. Ohne weitere Worte holte er aus und begann, unter dem Tisch nach uns zu schlagen. Wir spritzten auseinander. Es war nicht schwierig, seinen Hieben auszuweichen, weil er blindlings in die Gegend schlug. Er traf nur die Reste des Musterprozesses Rudloff gegen Rudloff, aber die um so furchtbarer. Das Schneegestöber erhob sich von neuem, und je stärker es wurde, desto weniger sah er. Wir schossen um ihn herum und bekamen geradezu Mitleid mit ihm, weil er sich so abmühte. Ab und zu quiekte einer von uns, als wäre er getroffen, um ihm nicht alle Lust zu nehmen. Der Fußboden dröhnte von den Schlägen. Mit einem letzten, furchtbaren Hieb zerschlug der Alte das Glas der Standuhr. Das Perpendikel fiel heraus. Dann wankte er zu dem Stuhl, sank hinein und barg sein Haupt in den Händen. Wir setzten uns davor und betrachteten ihn mit Sorge. Das Zimmer sah aus, als wäre ein Lastwagen voll Konfetti darin umgekippt. Frau Wasinger öffnete die Tür. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie alles übersehen konnte.
    «Was treibst du denn hier?» fragte sie.
    Er hob den Kopf, sah sie mit gebrochenem Blick an. «Der Prozeß», stöhnte er. «Sie haben den Prozeß zerfressen. Ich bin vernichtet. »
    Seine Frau handelte weit zielbewußter als er. Sie griff einen nach dem anderen von uns am Kragen und zog uns drei mit der Reitpeitsche über. Es schmerzte bedeutend mehr als die Schläge ihres Mannes. Diesmal quiekten wir laut und von Herzen.
    «So, das wäre für euch», sagte sie. «Damit ihr euch's merkt. Und du geh mit deinem Schmarrn von Prozeß. Das ganze Haus liegt voll von dem Papierkram. »
    «Juliane», sagte er in tiefer Bestürzung.
    «Na, ja. Nimmst halt an andern!»
    Der Landgerichtsdirektor erhob sich und schritt schwerfällig hinaus, mitten durch die zerflederten Akten, die er nun nicht mehr auswerten konnte.
    «Raus mit euch!» befahl die Frau Direktor. «Resi—räumen S' des weg! »
    So endete unsere Arbeit im Archiv. Es war mein Glück, daß ich diesmal nicht der einzige Übeltäter war, sondern der Verdacht der Urheberschaft von vornherein auf Pepi fiel. So sah der Hausherr, daß selbst der langjährige Dackel eines Juristen nicht frei von kriminellen Anwandlungen war. Das traf ihn tief.
    «Von dir hätte ich mehr Achtung vor dem Gesetze erwartet», sagte er. «Geh mir aus den Augen, Heuchler!»
    Aber Pepi schlief schon wieder.
    Trotz dieser und ähnlicher Vorfälle blieb ich im Hause gern gesehen, und immer deutlicher wurde sichtbar, wie es um Loni und mich stand. Noch allerhand Opfer brachte ich für sie, bis ich mein Ziel erreicht hatte.
    Einmal war sie mit Resi weggegangen, und ich wartete eine Stunde im sprühenden, eisigen Regen vor der Gartentür, obwohl ich das gar nicht nötig gehabt hätte. Am nächsten Tag lag ich mit einem Schal und einer Wärmflasche in Dans Bett und hustete hohl. Dazu lief mir die Nase wie ein Springbrunnen, und das linke Ohr tat scheußlich weh. Eva mußte mit mir zum Tierarzt.
    Schon von dem Geruch auf der Treppe bekam ich furchtbare Angst. Im Wartezimmer saßen noch mehr solche traurigen Figuren wie ich, und nach uns kam ein dünner, bebrillter Mann mit zwei weißen Mäusen und einer Schildkröte. An der Wand stand «Es wird dringend gebeten, die Tiere nicht das Treppenhaus verunreinigen zu lassen!»
    Während wir warteten, las Eva in einem Heft «Du und das Tier», das schon drei Jahre alt war. Ich zitterte auf ihrem Schoß

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