Ehebrecher und andere Unschuldslaemmer - Roman
saß im Wohnzimmer und schmökerte abwechselnd in ihren Trauerbriefen und einem Büchlein mit dem Titel Richtig trauern will gelernt sein.
»Nein, danke, für mich nicht«, antwortete sie und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. »Die Werners schreiben, dass sie immer an mich denken. Ist das nicht rührend?«
»Ja, wahnsinnig rührend.« Ich sah schon, dass die tote Katze allein mein Problem war. Meine Mutter hörte niemandem mehr zu, außer dem Pfarrer, der nach wie vor jeden Tag für eine Stunde vorbeikam. Wäre er nicht um so viele Jahre jünger gewesen als meine Mutter, hätte ich auf die Idee verfallen können, zwischen den beiden bahne sich eine Romanze an. Aber das war natürlich lächerlich, nicht nur wegen des Altersunterschieds. Mein Vater war schließlich erst eine Woche unter der Erde!
Widerstrebend zog ich mir ein Paar Küchenhandschuhe über und nahm ein Handtuch aus dem Wäscheschrank. Es war mit gelben Entchen bestickt, das hätte der Katze zu Lebzeiten sicher gefallen.
Zurück unter dem Falschen Jasmin nahm ich meinen ganzen Mut zusammen, kniff Augen und Nase zu und legte die Katze auf das Handtuch. Sie war steif undleicht wie ein Plüschtier. Als ich sie eingewickelt hatte und mich erhob, wurde das Hagen’sche Küchenfenster aufgerissen.
Frau Hagen, flankiert von ihren »Kindern« Christel und Rüdiger, lehnte sich auf die Fensterbank.
»Was ist das für eine Katze?«, fragte sie.
»Eine tote«, sagte ich ziemlich unfreundlich. Es war offensichtlich, dass sie mich schon eine längere Zeit beobachteten, wer weiß, vielleicht hatten sie sogar mitangesehen, wie die Katze verendet war.
»Zeig mal«, sagte Rüdiger. Er sah älter aus als seine vierunddreißig Jahre, hatte ein rundes Mondgesicht und kleine tückische Augen, wie alle Mitglieder der Familie Hagen. Keiner wusste so genau, was er beruflich machte. Meistens war er zu Hause und frisierte sein Motorrad. Offenbar reichte Herr Hagens Rente, um die ganze Familie durchzufüttern, denn auch Christel verdiente mit ihren achtundzwanzig Jahren noch kein eigenes Geld. Sie studierte seit Ewigkeiten Bibliothekswissenschaften.
»Zeig mal«, verlangte Rüdiger noch einmal.
Widerwillig schlug ich das Handtuch auseinander und versuchte nicht hinzusehen.
»Das ist ja unsere Katze«, rief Frau Hagen aus.
Soviel ich wusste, hatten Hagens überhaupt keine Katze. »Unsere Katze« musste demnach das arme Tier sein, dem sie ihre Essensreste zukommen ließen. Wenn sie denn mal was übrig ließen. Also so gut wie nie.
»Woran ist sie denn gestorben?«, wollte Christel wissen. »An Schneckenkorn? Oder an Rattengift?«
»Das kann ich so nicht beurteilen«, sagte ich gereizt.
Als ich Frau Hagens bekümmerten Gesichtsausdrucksah, machte ich Anstalten, die Katze über den Zaun zu reichen. »Sicher wollt ihr eure Katze selber begraben.«
Aber da hatte ich mich getäuscht.
»Kommt ja gar nicht in Frage«, rief Frau Hagen im zweigestrichenen C. »Das machst du mal schön selber!«
»Aber …«
»Nichts aber! Die Katze lag schließlich auf eurem Grundstück.«
Stumm wickelte ich das arme Vieh wieder in das Handtuch ein. Wohin nur damit?
»Tierkadaver dürfen nicht in der Mülltonne entsorgt werden«, sagte Rüdiger, als habe er meine Gedanken erraten. »Ich weiß nicht mal, ob man sie im Garten begraben darf, wegen der Grundwasserverseuchung. Wir sind hier ja mitten im Landschaftsschutzgebiet. Du kannst ja mal beim Ordnungsamt anrufen und dich erkundigen. Wenn sie vergiftet ist, ist sie vielleicht sogar Sondermüll.«
»Aber sonst geht es dir gut, ja?«, sagte ich. »Wir streuen weder Schneckenkorn noch Rattengift.«
»Wir aber auch nicht«, sagte Christel und sah mich mit ihren kleinen Äuglein misstrauisch an. »Wegen unserem Gemüse! Das wird voll biologisch angebaut. Ihr habt ja kein Gemüse!«
»Eben deshalb brauchen wir auch kein Schneckenkorn«, sagte ich gereizt.
Christel überhörte meinen Einwand. »Wenn unsere Nachbarn mit Gift hantieren – Pestizide, Wühlmausköder, Unkrautvernichtungsmittel, Schneckenkorn –, dann müssen wir das alles mitessen«, fuhr sie fort.
Ich wusste ja, dass sie viel aßen – ohne Fleiß keinPreis –, aber dass sie auch Wühlmausköder und Kunstdünger vertilgten, war mir neu.
»Sieh dir unseren Garten an – sieht der so aus, als sei da in den letzten zehn Jahren auch nur ein Körnchen Dünger gestreut worden?«, fragte ich. »Man sieht ja wohl auf den ersten Blick, dass bei uns Unkraut, Schnecken
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