Ehebrecher und andere Unschuldslaemmer - Roman
darauf hin, dass er sich noch an die Knutscherei in seinem Auto erinnerte.
»Ja«, sagte Georg. »Irmis Apfelkuchen ist wunderbar. Ich sage immer, damit könnte sie Preise gewinnen.«
Irmi warf ihm einen verblüfften Blick zu. Wie bitte? Preise könnte sie gewinnen mit dem, was er gewöhnlich »den immer gleichen Fraß« nannte? Das war ja was ganz Neues.
Überhaupt hatte sich Georg einer erstaunlichen Verwandlung unterzogen. Seit der Pfarrer zur Tür hereingekommen war, war er die Freundlichkeit in Person. Siehatte gefürchtet, dass er zynische Bemerkungen über Gott und seine Behinderung machen würde, aber bis jetzt war er einfach nur ausgesprochen höflich, ja sogar eine Spur schüchtern gewesen.
»Darf ich denn auch noch ein Stück Kuchen haben, Irmi?«, fragte er und sah sie flehend an.
»Natürlich«, sagte sie verwirrt.
»Danke«, murmelte Georg. »Vielen Dank. Ich verspreche auch, nicht zu krümeln.«
Befremdet sah sie, dass seine Hände viel stärker zitterten als noch beim Mittagessen. Nur mit äußerstem Kraftaufwand schien es ihm zu gelingen, seine Gabel zum Mund zu führen.
»Stimmt was nicht, Georg?«, fragte sie besorgt. Er konnte doch nicht innerhalb von anderthalb Stunden derart abgebaut haben! Auch Pfarrer Hoffmann schaute irritiert auf die ungeschickt herumfuhrwerkenden Hände.
»Alles in Ordnung«, versicherte Georg mit leiser Stimme. »Ich passe schon auf.« Aber genau in diesem Augenblick wurde das Stück Kuchen von einem unkontrollierten Gabelstoß auf den Fußboden befördert.
Georg fuhr zusammen, in dem Blick, den er Irmi zuwarf, lag das blanke Entsetzen. »Oh! Oh!«, stieß er aufgeregt hervor. »Es tut mir so leid, Irmi, wirklich. Das wollte ich nicht.« Wie ein kleiner Junge kauerte er sich in seinem Rollstuhl zusammen.
Geradeso, als erwarte er Schläge, dachte Irmi, während sie mechanisch das Kuchenstück aufhob und Georg ein neues auf den Teller legte.
Georg hielt seinen Kopf und seinen Blick gesenkt und biss sich in scheinbarer Verzweiflung auf die Lippen.Mit diesem für ihn völlig untypischen Gesichtsausdruck sah er überhaupt nicht mehr aus wie er selber. Auch die schüchterne Stimme, die immer wieder »tut mir leid« stammelte, schien einem ganz anderen Mann zu gehören. Und da begriff Irmi plötzlich, dass Georg schauspielerte. Ein ganz gemeines Ein-Mann-Stück führte er da auf, zu Ehren von Pfarrer Hoffmann. Er sollte denken, Georg sei ein von seiner Frau seelisch und körperlich misshandelter Krüppel. Ausgerechnet vor dem einzigen Menschen, der sie zu mögen und sogar zu bewundern schien, wollte er sie blamieren.
»Hör auf damit, Georg!«, brachte sie heraus, und in ihrer Stimme schwangen Wut und Enttäuschung mit. Zu spät merkte sie, dass sie Georg damit nur einen Gefallen tat.
Er duckte sich unter ihren Worten. »Tut mir leid«, wiederholte er. »Ich fahre wohl besser in mein Zimmer.«
Irmi wusste nicht mehr, was sie sagen sollte.
»Ihren Kuchen können Sie aber vorher ruhig noch essen«, erwiderte Pfarrer Hoffmann an ihrer Stelle. Er sagte es freundlich, aber ziemlich kühl.
Irmi schöpfte Hoffnung. »Georg ist normalerweise sehr geschickt mit Messer und Gabel«, erklärte sie.
»Das glaube ich gern«, sagte Pfarrer Hoffmann und lächelte sie mit seinen perlweißen Zähnen aufmunternd an. »Wenn Sie so gut kochen können, wie Sie backen, dann ist das auch kein Wunder.«
»Danke«, sagte Irmi und unterdrückte den Impuls, nach seiner Hand zu greifen und sie zu küssen.
Georg hatte sein Ein-Mann-Stück aber noch nicht beendet. »Es vergeht kein Tag, an dem ich Gott nicht für meine Irmi danke«, murmelte er, und wenn Irmi es nichtbesser gewusst hätte, hätte sie geglaubt, er bräche jeden Augenblick in Tränen aus. »Und jeden Tag danke ich Ihm dafür, dass sie mich nicht in ein Heim steckt. Manchmal, wenn ich ihr zu viel Arbeit mache, dann redet sie zwar davon, aber dann verspreche ich ihr, mich zu bessern. Nicht wahr, Irmi, ich bemühe mich doch?«
Irmi starrte Georg sprachlos an. Er war nicht nur niederträchtig, er war teuflisch.
»Nicht immer ist die Pflege innerhalb der Familie die beste Wahl«, sagte Pfarrer Hoffmann im Plauderton. »Ich kenne einige sehr gute Heime, in denen Pflege, Therapie- und Freizeitangebote wirklich first class sind. Der Kranke hat dort alles, was er braucht, und die Familie ist entlastet. Alle beide kommen heraus aus dem Kreislauf aus Verpflichtung, Aufopferung und Schuldgefühlen.«
Georg starrte ihn einen Augenblick
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