Ehebrecher und andere Unschuldslaemmer - Roman
verblüfft an. Dann senkte er den Kopf und sagte: »Aber leider hätte das alles seinen Preis. Ich brächte es nicht übers Herz, das Haus zu verkaufen und meiner Frau und meinen Kindern das Erbe wegzunehmen, nur damit ich meine letzten Jahre in einem Luxuspflegeheim verbringen könnte.«
Irmi, die die stolzen Summen kannte, die Georg in Aktien, festverzinslichen Wertpapieren und Investmentfonds angelegt hatte, schluckte. Von dem Geld konnte man nicht nur einen lebenslangen Pflegeplatz bezahlen, man konnte ein Pflegeheim dafür kaufen , wenn man wollte samt Personal und Parkanlage!
»Nein, da bleibe ich doch lieber zu Hause und weiß meine Lieben gut versorgt, wenn ich vor unseren Schöpfer trete«, fuhr Georg dessen ungeachtet fort. Tapfer setzte er hinzu: »Lange wird es ja auch nicht mehr dauern.«
Das war glatt gelogen. Doktor Sonntag hatte erst vorigen Monat gesagt, dass es ganz danach aussähe, als müsse Georg mit seiner Krankheit alt werden.
»Als gesunder Mensch und Junggeselle kann ich mir einfach nicht vorstellen, meiner Familie die Belastung meiner Pflege auch nur für kurze Zeit zuzumuten«, erwiderte Pfarrer Hoffmann scheinbar ungerührt. »Aber vielleicht würde ich auch anders denken, wenn ich krank wäre.«
»Sicher würden Sie das«, sagte Georg. »Und dann wünsche ich Ihnen eine Frau, die Sie nicht in ein Heim abschiebt! Allerdings werde ich Irmi nicht zumuten, mir das Essen den Hals hinunterzumassieren wie einer Mastgans. Vorher werde ich … freiwillig abtreten.«
Erwartungsvoll blickte er den Pfarrer und Irmi an. Beide schwiegen.
»Aber ich rede wieder mal zu viel«, sagte Georg. »Irmi mag es nicht, wenn ich mich selbst so wichtig nehme. Meine Krankheit ist in diesem Haus eigentlich tabu. Irmi sagt, es reicht, wenn sie sie täglich sehen muss, da muss sie nicht auch noch drüber reden.« Er warf Irmi einen scheuen Blick zu. »Jetzt will ich auch nicht länger stören.« Mit gesenktem Kopf schob er sich samt Rollstuhl aus dem Zimmer. Irmi erwartete beinahe, auf seinen Abgang hin Applaus von einem unsichtbaren Publikum zu hören.
»Das war also Ihr Mann«, sagte Pfarrer Hoffmann zu Irmi.
»Er … ähm …«, stotterte Irmi. »Ich habe noch niemals gedroht, ihn ins Heim zu geben. Könnte ich auch gar nicht, denn alles läuft auf seinen Namen, das Haus, die Konten, die Kapitalanlagen … Meinen Apfelkuchen findeter höchstens durchschnittlich, und an Gott glaubt er auch nicht.«
Pfarrer Hoffmann lächelte sie an. »Dafür glaubt Gott aber an ihn – ist das nicht tröstlich zu wissen?«
Irmi nickte. Tröstlich war auch zu wissen, dass Pfarrer Hoffmann nicht auf Georgs Schauspielerei hereingefallen war. Er war ein Engel, von Gott geschickt, um sie, Irmi, zu beschützen, davon war sie überzeugt.
Der Engel schaute aus dem Fenster. »Ah, dieser klare blaue Herbsthimmel! Von hier hat man bestimmt einen wunderbaren Blick auf die Sterne, oder?«
»Ich glaube schon«, sagte Irmi. Es war lange her, dass sie in die Sterne geschaut hatte.
»Heute Nacht soll man diesen Kometen, wie heißt er noch gleich, besonders deutlich beobachten können«, sagte Pfarrer Hoffmann. »Um kurz vor Mitternacht kommt seine Laufbahn der der Erde am nächsten.« Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Leider muss ich Sie schon wieder verlassen. Ich möchte Ihrer Nachbarin noch einen Besuch abstatten, und danach ist Presbyteriumssitzung. Aber wenn Sie Lust und Zeit haben, dann komme ich nach der Sitzung wieder, und wir schauen uns zusammen den Kometen an.«
»Hier? Nur wir beide?«, stotterte Irmi und wurde rot.
»Nur wir beide«, wiederholte Pfarrer Hoffmann und berührte sanft ihre Wange. »Es kann aber spät werden. Die Presbyter sind Meister im Sitzungsmarathon.« Er lächelte, während er nach seinem Mantel griff. »Sehen Sie zu, dass Mann und Kinder bis dahin im Bett liegen. Und sorgen Sie für ein Windlicht und zwei Gläser. Eine Flasche Sekt bringe ich mit. So einen Kometen muss man angemessen grüßen, wenn er so nahe vorbeikommt.«
Irmi folgte ihm in den Flur hinaus. Im Spiegel über der Kommode sah sie kurz ihr erhitztes, feuerrotes Gesicht. Was soll ich denn nur anziehen, hätte sie am liebsten gefragt, und: Mögen Sie Schnittchen zum Sekt? Ich lege uns auch Decken und Kerzen zurecht.
Aber sie sagte nichts derart Entblößendes, sie brachte es nur fertig, »danke, dass Sie gekommen sind« zu murmeln und die Tür hinter ihm zu schließen. Am ganzen Körper zitternd stellte sie sich vor den
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