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Eheroman (German Edition)

Eheroman (German Edition)

Titel: Eheroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Seddig
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Zeitschrift vertieft hat, weil nichts los ist. Wortlos nickend schiebt sie das Telefon rüber.
    Ava wählt die Nummer. Ihr ist nicht wohl dabei. «Ava Androsevich. Ich bin die Mutter von Martin. Und jetzt … Ich wollte fragen …»
    «Er sitzt im Kuschelraum und spielt. Wenn sie noch zu tun haben. Er hat ja gar keine Probleme.»
    «Das ist gut. Das dauert hier noch. Und ich würde gerne etwas später kommen, wenn es geht.»
    «Das sagte ich ja. Es geht ihm gut. Kommen Sie ruhig später.»
    Ava legt auf und hat ein schlechtes Gewissen. Sie dreht sich zu Merve um.
    «Und ohne Lügen. Gut gemacht», sagt Merve, «noch zwei Sekt, please.»

    Eines Tages beschließt Danilo, Ava und er müssten essen gehen. Damit sie zusammen etwas unternehmen. Sein Professor geht jede Woche einmal mit seiner Frau essen, weiß sie. Aber andere Leute gehen auch essen, deshalb wäre es wohl ungerecht von ihr, von dieser Tatsache etwas herzuleiten, wie zum Beispiel, dass Danilo seinen Professor nachahmt. Und wenn, es spielt ja überhaupt keine Rolle.
    Ava betrachtet die Speisekarte mit den unklar zusammengestellten Gerichten. So kommt es ihr vor. Aber es ist nur, weil sie sich nicht konzentrieren kann. Im Hintergrund plätschert ein Brunnen, ob echt oder nur akustisch, kann sie nicht feststellen, nicht, bevor sie sich endlich zu einem Gericht durchgerungen hat. Danilo sitzt in seinem hellen Anzug vor ihr und strahlt sein Rasiertsein aus. Sein Rasierwasser und seine glänzenden Wangen, ein kleiner Schnitt unten am Hals, alles ist frisch und männlich. Danilo ist ein richtiger, ein echter Mann, denkt sie. Plötzlich und auf einmal ist er ein richtiger, echter Mann, ohne dass sie den Übergang bemerkt hätte. Es muss schon vor einiger Zeit passiert sein, vielleicht schon vor Jahren.
    Am Tisch neben ihnen redet eine Frau leise und verhalten wütend auf eine andere Frau ein. Ava sieht von ihrer Karte zu ihnen rüber. Die stumme Frau trägt kurzes graues Haar. In der Hand hält sie eine kleine rosenverzierte Dose, vielleicht für Tabletten. Die zornige Frau ist jünger als die stumme Frau, aber auch nicht mehr jung. Sie lässt ihre Hand mehrmals scharf durch die Luft gleiten, zur Bekräftigung ihres Zornes in den Worten über ihre Mutter. Denn darüber redet sie, das ist das bittere Thema. «Mutter hat gedacht …!»
    Ava schaut hinüber zu Danilo, der seine Karte auf den Tisch gelegt hat und Ava anblickt. Da sie sich nicht entscheiden kann, entscheidet sie sich dafür, blind zu tippen, und sie tippt «Variation vom Weidelamm in Zitronen-Thymian-Jus auf gerösteten Kartoffeln, Artischocken & Oliven».
    «Was nimmst du?», fragt Danilo und lockert seine steifen Hemdsärmel. Er hat das gute weiße Hemd anziehen wollen. Er hat sogar eine Krawatte um. Sie ist fast erbost darüber. Nicht, dass Danilo ihr nicht gefällt. Aber dieses Ausgehen ist eine Farce. Die Kinder sind bei ihren Eltern. Sie wollten fernsehen und Pommes frites essen, jedenfalls die störrische Merve, Martin konnte noch nicht wissen, wie lange seine Eltern fort sein würden. Er ist noch zu klein und ist überrumpelt worden, in diesem Alter wird man immer überrumpelt, findet sie, aber es ist einem vermutlich egal.
    Warum dieses Ausgehen eine Farce ist, weiß sie nicht so genau, sie weiß nicht einmal genau, was eine Farce ist, aber es hängt damit zusammen, dass sie fast nie ausgehen und auch jetzt nicht wissen, was es soll. In einem Raum mit Springbrunnengeräuschen und gut gekleideten Menschen, die sich, Mutter hin und Mutter her, jedenfalls dringend etwas zu sagen haben, kommt sich Ava falsch vor. Wie die Einzige, Danilo ausgenommen, die hier keinen rechtmäßigen Platz hat. Komm, Ava, sagt sie sich, du musst dich bemühen. Es ist gut für euch, auszugehen. Es belebt eure Ehe. Hat sie diesen Satz tatsächlich gedacht? Sie schüttelt den Kopf.
    «Ist was?», fragt Danilo.
    Sie schüttelt ein zweites Mal den Kopf.
    Der Keller nimmt sehr gekonnt ihre Bestellung auf, er nickt und hält den Kopf leicht schräg, eine alte, eine sehr alte Geste, meint sie, wie aus einem französischen Gesellschaftsfilm. Das bessert ihre Stimmung. Sie geht nun wieder arbeiten und trägt zum Familieneinkommen bei, da kann sie wohl und vollkommen zu Recht in einem teuren Restaurant essen gehen und sich mit schräg geneigtem Kopf bedienen lassen. Und sie selbst, in einem dunkelblauen Kleid mit fast passenden dunkelblauen Schuhen, Absätze ganze zehn Zentimeter, so gut sieht sie aus. Sie hat es gerade auf

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