Eheroman (German Edition)
Quatsch?»
«Aber du kannst es dir doch nicht von ihr gefallen lassen. Von dieser gemeinen – Kuh.»
«Aber sie hat es auch deswegen gemacht, weil Josefine jetzt gar nicht mehr mit den Jungen an den Tischtennisplatten steht, und Josefine hat sich heute auch mit uns wieder angefreundet, als wir beim Mittagstisch waren, weil sie mit uns den Weg gegangen ist.»
«Ach so. Und was willst du jetzt machen?»
Merve überlegt. Dann richtet sie sich in ihrem Bett auf, indem sie sich auf Avas Bauch stützt. «Au!», schreit Ava.
«Ich setze mich morgen bei der neuen Sitzordnung nicht mehr neben Sophie, sondern neben Martha. Martha wollte sowieso neben mir sitzen.»
«Ah. Und wenn sich dann Josefine neben Sophie setzt?», überlegt Ava und findet, dass sie tief in die Probleme ihrer Tochter eingestiegen ist.
«Dann ist es mir auch egal», sagt Merve und klatscht in die Hände.
Ava klatscht auch in die Hände und sagt: «Du bist so klug, Mervi. Du brauchst gar keine Ratschläge von mir. Und jetzt kannst du richtig schön aufräumen.»
«Neiiiin. Neinneinneinneinnein», sagt Merve und lässt sich rückwärts wieder auf ihr Bett fallen. «Ich bin sooo kaputt.»
«Das glaube ich. Aber ich auch. Denkst du, ich soll dein Zimmer aufräumen?»
«Nein. Sollst du nicht. Ich kann es doch morgen aufräumen.»
«Weißt du, wann morgen ist? Nie. Und deshalb sage ich dir, wann Aufräumtag ist. Heute.»
«Du bist fies!»
«Ja. Ich kann sogar noch viel fieser werden.»
Ava geht in die Küche, wo alles schon lange wartet, der Einkauf, der ausgepackt werden muss, das Geschirr im Spüler, das Kochen vor allem, nur Merve braucht auch Zeit, alles braucht Zeit, sie selbst braucht Zeit.
Die Tür geht, und Danilo kommt. Sie hört, wie er mit Merve spricht. Merve beschwert sich wegen des Aufräumens. Sie hört, wie er sagt: «Ach, das schaffst du schon. Sonst mach einen Teil, und den anderen Teil machst du morgen.»
«Das erlaubt Mama nicht», sagt Merve.
«Ach, ich glaube schon», sagt Danilo und kommt in die Küche, um nach dem Essen zu schauen. «Hallo», sagt er zu Ava und legt einen neuen, sehr teuer aussehenden blauen Koffer auf den Küchenstuhl, «was gibt’s?»
Ava dreht sich zu ihm, sie trocknet sich die Hände am Küchentuch ab und sagt: «Nichts. Und bei dir?»
«Ich fahre im Oktober nach Rabac, um einen Künstler zu interviewen, Alen Floričić, er macht Videokunst.»
«Ah», sagt Ava, «und wo ist das, Rabac?»
«In Kroatien.»
Merve drückt ihre Zigarette aus und gähnt. Ihr blasses Gesicht ist mit einem rosapudrigen Hauch bestäubt, und die dünne Haut über ihren Augen glänzt grünbläulich. Sie trägt eine weiße Bluse und eine dünne schwarze Krawatte aus Leder. Ihr Haar ist aufgesteckt, und während sie den Kopf schüttelt, rutscht eine der silbrigen Spangen ein Stück dem Hals entgegen, an dem winzige, hauchfeine Härchen wie Strahlen den Haaransatz abschließen.
Ava nimmt den schmalen Stiel ihres Glases mit cranberryrotem Cosmopolitan in die Hand und stellt es dann wieder hin, ohne zu trinken. Ihr fällt ein, dass sie sich vorgenommen hat, den Cocktail langsamer zu trinken und nicht wie Bier. Wenn sie den Cocktail so schnell trinkt wie Bier, dann ist er ruck, zuck alle und sie bestellt den nächsten, und innerhalb kürzester Zeit ist sie betrunken und jede Menge Geld los. Immer passiert ihr das mit Cocktails. Obwohl sie schon gerne Cocktails trinkt und das hübsche Glas und den feinen Geschmack schätzt. Aber das langsame Trinken, während des Redens, das ist ein Problem. Sie trinkt immer sehr viel, wenn sie viel redet, als müsste das Trinken dem Reden in derselben Geschwindigkeit folgen. Cocktails werden aber nicht getrunken, an ihnen wird genippt. Das hatte ihr Merve gesagt. Merve selbst, wenn sie redet, vergisst das Trinken, vergisst auch das Essen. Wenn das Leben schnell wird, vergisst sie Essen und Trinken und vergisst sie, Luft zu holen. Deshalb hat sie diesen Körper, der immer noch zart ist, wenn auch die Zartheit an einigen Stellen übergeht in eine knochige Kantigkeit. Wenn sie alt ist, dann wird sie nur noch aus Knochen bestehen, umweht von letzten rötlichen Haarsträhnen in einem Gewirr von weißem Haar, rosa Haar vielleicht, wenn sich weißes und rötliches Haar mischen, und wird wie eine Wahnsinnige wirken, wie ein Wesen aus einem Fantasyfilm, ein Faun oder ein Troll.
«Warum, Merve, hast du das gemacht?», fragt Ava und nimmt nun doch einen Schluck von ihrem Glas, das gleich auch schon
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