Eheroman (German Edition)
ist, dass Danilo sie verlassen hat und zu Ava gezogen ist. «Du bist ein Schüler und bist doch kein Ehemann», hat sie gesagt. «Du kannst doch noch nicht ausziehen. Du musst doch noch zu Hause bleiben bei deiner Mutter.» Aber gegen Danilo konnte sie nicht an. Keiner kann gegen Danilo an. Was er will, das ist Gesetz. Als sie mit dem Auto von Markus seine Kleidung abholten, half sie beim Packen und schwieg. Als das Auto vom Hof fuhr, ging sie stumm in die Wohnung. Sie wird nach innen geweint haben. Sie hat an Danilo gehangen. Nun hat sie nur noch den Vater im Schuppen. Sie ist ganz allein. Danilo kümmert es kaum. Er hat gesagt, sie soll sich Freunde suchen. Aber Freunde suchen in einem Dorf, wo alle sich schon immer kennen und die Hälfte miteinander verwandt ist. Wenn man so barsch in seinen Gummistiefeln mit seinem Kopftuch durch die Welt stiefelt, nur in kurzen, abgehackten Sätzen redet und böse ist, auf die anderen und womöglich vor allem auf sich selbst. Da ist es schwer. Das weiß Ava gut. Sie hatte ja selbst gefunden, dass Danilo nicht dazugehört. Aber Danilo brauchte auch nicht dazuzugehören. Er schaut nach vorn auf das, was ihn interessiert, das neben ihm interessiert ihn nicht. An Einsamkeit leidet er nicht. Seine eigene Gesellschaft genügt ihm. Die anderen merken das und hängen sich an ihn ran. Danilo ist nie allein, weil er sehr gut allein sein kann. Verrückt. Und sie? Ava schüttelt den Kopf. Wer ist überhaupt sie? Sie ist doch auch nur eine Idee von Danilo, oder wer war sie vor ihm, bevor er wusste, dass sie seine Freundin sein und mit ihm leben sollte?
Sie klingelt bei Stulle. Stulle öffnet ihr und freut sich sehr. Er sagt, er muss aber erst einen Brief beenden. «Du schreibst Briefe?», wundert sich Ava. Er schreibt einen Brief an seinen Vater. Er sitzt am Kühlschrank und schreibt auf der Kühlschrankoberfläche seinen Brief, die Beine eigenartig verdreht, weil er sie nicht unter die Oberfläche stecken kann, wie es bei einem Tisch möglich wäre. «Lieber Papa», liest sie über seiner Schulter, aber dann sieht sie weg und aus dem Fenster auf die Straße.
«Was schreibst du ihm?», fragt sie ihn.
«Lügen.» Stulle grinst. «Er sitzt im Rollstuhl, er ist vom Gerüst gefallen, ist schon lange her, er sitzt im Rollstuhl und bewegt nur sein Gesicht und seine Hände ein bisschen. Wir müssen ihm jede Woche einen Brief schreiben oder ihn anrufen, mein Bruder und ich.»
«Das müsst ihr?»
«Jupp. Er will es so. Er wird sonst sehr böse.»
«Und dann?», fragt Ava.
«Dann schimpft er, und seine Hände zittern so», Stulle hebt die Hände leicht über seinen Schoß und lässt sie zittern, «und das macht uns wirklich Angst.» Er lacht. «Nein, aber Mutter will es auch. Wir müssen es nun mal.»
«Ruf ihn doch einfach an, wenn du die Wahl hast, anrufen oder schreiben, ruf ihn doch an», sagt Ava.
Stulle grinst. «Das kannst du nur sagen, weil du ihn nicht kennst. Früher hat er kaum mal was gesagt, wenn er von der Arbeit kam, auf dem Bau hat er gearbeitet, wenn er von der Arbeit kam, saß er rum und sagte – nichts, aber seit er im Rollstuhl sitzt und sich nicht mehr bewegen kann, redet er. Also, wenn ich den ganzen Tag im Rollstuhl am Fenster sitzen würde, der sitzt den ganzen Tag da und starrt auf die Straße, mir würde gar nichts einfallen zu reden. Es passiert ja nichts bei ihm. Aber trotzdem, er redet. Stundenlang redet er. Da kommst du nicht mehr raus aus der Nummer. Deshalb schreiben und nicht anrufen. Schreiben geht schnell. Halbe Stunde höchstens und fertig.»
«Verstehe», sagt Ava und schaut Stulle über die Schulter. Aber Stulle tütet den Brief schon ein. «Aber du schreibst Lügen da rein, sagst du.»
«Ich lasse mir was einfallen. Sonst weiß ich nicht, was ich schreiben soll. Es passiert ja bei mir auch nichts.»
«Aber du bist doch die meiste Zeit unterwegs, das ist doch abwechslungsreich, da muss doch was passieren?»
«Das denkst du. Unterwegs sein heißt Autobahn. Autobahn, immer Autobahn. Dann Rasthof, dann wieder Autobahn.»
Ava geht in Stulles Wohnzimmer und hockt sich auf die Matratze, während der Vormittag seinen Lauf nimmt. Danilo ist in der Schule, sie hat frei, Stulle hat frei. So läuft es alles ganz prima. Aber Stulle muss morgen früh wieder weg. Morgen früh, wenn auch sie sich mit Danilo und seinen Freunden auf den Weg an die Ostsee machen wird. «Wo fährst du hin, Stulle, morgen früh?»
«Portugal. Willst du mit?»
Er hat es nur so wie
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