Ehrensachen
man neben anderen für den gesellschaftlichen Aufstieg eines Kollegiaten nötigen Requisiten auch gut geschnittene, oft kaum getragene Tweed- und Smoking-Jacken sowie Cuts billig aus zweiter Hand erwerben. Hauptlieferanten für die Ware der Brüder Keezer waren die Witwen kürzlich verstorbener Fakultätsmitglieder und Alumni. Kunden durften eigene Kleider in Zahlung geben, und Archie wurde die Kreationen des panamaischen Schneiders los. Ihre Qualität war so hoch, daß Archie den Keezers am Ende nichts schuldete. Er hatte vor, Henry zum selben Tauschgeschäft zu ermutigen; dessen Kleider waren zwar von der Stange, aber auch von guter Qualität. Wider Erwarten ließ Henry sich nicht darauf ein.
Das geht nicht, sagte er. Wenn ich nach Hause komme, erwartet meine Mutter, daß ich die Sachen trage, die sie für mich gekauft hat. Wenn ich ihr erzähle, daß sie verkauft sind, kann ich was erleben.
Sie steckten in einer Sackgasse; wenn Henry keinen substantiellen Sachwert als Anzahlung lieferte, hatte er nicht genug Geld für das, was Archie ihm ausgesucht hatte. Dieser wollte das Scheitern seines Plans nicht akzeptieren und bot Henry ein Darlehen an, rückzahlbar in Raten bis zum Ende des Schuljahrs. Die Summe war zum Glück nicht hoch. Sie luden mich zur letzten Anprobe ein, da die Keezers auch die unmöglichsten Änderungen fachkundig vornehmen konnten. Archie hatte gute Arbeit geleistet. Wenn Kleider Leute machen, konnte Henry als Kollegiat durchgehen, der in den richtigen Internaten gewesen war und wußte, wie man sich anzieht.
Das Angebot dieses Darlehens zeigte, daß Archie zur Zeit gut bei Kasse war. Solche Zeiten gingen schnell vorbei, aber solange sie dauerten, trug er viel Geld in den Spirituosenladen an der Mount Auburn Street und zu Henri IV ., einem französischen Restaurant an der Winthrop Street, das bei Fakultätsmitgliedern und betuchten Studenten ebenso beliebt war wie bei den Eltern der Kollegiaten, die übers Wochenende nach Cambridge kamen. Archie liebte Rituale. Eines davon war in jenem Herbst das samstägliche Mittagessen im Henri IV . mit Clara aus Salvador, einer Wellesley-Studentin im ersten Jahr, mit der er sein ausgezeichnetes Spanisch sprechen konnte. In dasselbe Restaurant lud er zum Abendessen gelegentlich auch ein Mädchen aus einem College in Back Bay ein, bekannt für seine Hauswirtschaftskurse und seine körperlich gut, intellektuell schwach entwickelten Studentinnen. Dieses Mädchen rechtzeitig zum Ende der Ausgangszeit, je nach Wochentag um zehn oder elf Uhr abends, ins Wohnheim zurückzubringen war leichter, als Clara nach Wellesley zu begleiten. Er erklärte Henry und mir, daß Clara sehr katholisch und im Glauben an die Bedeutung ihrer Jungfräulichkeit erzogen sei, so daß er bei ihr kaum mehr erreichen werde, als ihm bisher gelungen war – beim Küssen ließ sie zu, daß er seine Hand unterihren Pringle-Pullover schob und ihren BH aufhakte. Clara weigerte sich, sein Schlafzimmer zu betreten, unabhängig davon, ob Henry und ich uns im Apartment aufhielten, war aber einverstanden, sich auf dem Wohnzimmersofa niederzulassen, wenn wir nicht da waren. Folglich hielten wir uns, wenn Archie sie an Samstag- und Sonntagnachmittagen mitbrachte, bis zum Ende der Besuchszeit von der Wohnung fern. Clara war auch bereit, mit Archie nach Anbruch der Dunkelheit in stillen Seitenstraßen von Cambridge oder Wellesley oder am Ufer des Charles zu parken. Das Problem war, daß Archie noch kein Auto besaß. Gelegentlich konnte er sich eins ausborgen, aber diese Leihgaben ließen sich für seinen und vielleicht sogar für Claras Geschmack zu selten organisieren und beschleunigten seinen Fortschritt nicht nennenswert. Jeanie, das Mädchen aus dem Junior College auf der anderen Flußseite, war ebenfalls katholisch und obendrein Irin, was in Archies Augen ihren Status herabsetzte. Mißachtung räumt bei der Eroberung so manche Hürde aus dem Weg – und wirkt außerdem als Aphrodisiakum. Als Jeanie zum zweiten Mal nachmittags in unserer Wohnung war – Henry und mir war nicht nahegelegt worden, wir sollten uns in die Lamont-Bibliothek verziehen, solange Archie und Jeanie sich hinter der geschlossenen Tür seines Schlafzimmers aufhielten –, kamen sie erst in letzter Minute, bevor die Mädchen aus der Besucherliste ausgetragen werden mußten, Hand in Hand aus seinem Zimmer heraus. Ich habe den Jungen vom Mann getrennt, meldete Jeanie. Archie nickte zustimmend und trieb sie zur Eile an. Da er ein
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