Ehrensachen
die er für nützlich hielt, deutlich zu machen, daß er zwar in gewisser Hinsicht aus dem Nirgendwo komme, aber gesellschaftlich als ihresgleichen anzusehen sei. Er handelte schlicht nach dem britischen Prinzip, daß ein Mann der geborene Gentleman sein und bleiben kann, auch wenn seine materiellen Lebensumstände deprimierend bescheiden sind und wenn er keine mächtigen Freunde hat. Das zweite traf sicherlich auf Archie zu. Anders als die Männer, die er sich zum Vorbild nahm, besaß er am College keine Freunde aus Grundschul- und Internatszeiten, er hatte mit niemandem Ferien in Northeast Harbor oder Tucson gemacht, und keiner kannte seine Mutter und seinen Vater. Das war aus seiner Sicht eine leidige Folge der Militärlaufbahn seines Vaters, eine Folge, die Archie korrigieren konnte und mußte. Also war er überzeugt, daß er von Rechts wegen zu Beginn des zweiten Studienjahres eingeladen werden müsse, Mitglied in einem der final clubs zu werden , Harvards Version der exklusiven Studentenverbindungen, deren pittoreske Häuser an der Mount Auburn Street und ihren Nebenstraßen er inspiziert hatte. Er wollte eine Clubkrawatte tragen – die richtige, denn nicht alle Clubs galten gleich viel. Einer der Vorteile wäre, daß sein Name in die Einladungsliste für Eröffnungspartys, Kotillons und Festsitzungen aufgenommen würde, die der für Veranstaltungen zuständige Clubwart führte. Später würde sich dann die Aufnahme in das Netzwerk der Alten Herren ergeben und durch deren Vermittlung der Zugang zu noblen Wall-Street-Firmen. Archie war zwar romantisch, aber in praktischen Fragen klardenkend;er baute keine Luftschlösser. Die zwei oder drei vornehmsten Clubs würden immer außerhalb seiner Reichweite bleiben, auch wenn er sich noch so viel Mühe gab; das wußte er. Diese Clubs waren auch bis auf ganz wenige Ausnahmen für alle anderen unzugänglich, deren Väter, Großväter und Onkel nicht schon Mitglieder gewesen waren. Aber die nicht ganz so großartigen und trotzdem ansehnlichen Clubs dürften ihn nicht links liegenlassen. Man mußte es ihnen nur zu verstehen geben, und zwar möglichst geschickt; das war der Trick. Der übliche Weg, Verwandte und höhere Semester, mit denen man in der Schule gewesen war, daran zu erinnern, daß man Erstsemester und also als Mitglied verfügbar war, dieser Weg stand ihm nicht offen. Er hatte ein Internat in Schottland besucht, das außerhalb der Britischen Inseln vollkommen unbekannt war und sich wahrscheinlich auch im Inland keinen Namen gemacht hatte. Die Militärakademie in Ohio, in die man ihn gesteckt hatte, als sein Vater in die Kanalzone abkommandiert wurde, war auch obskur. Archie mußte für sich selbst sorgen. Sehr clever beschloß er, das Beste aus den beiden besonderen Fähigkeiten zu machen, über die er verfügte. In Schottland hatte er Rugby gelernt – ziemlich effektvoll für jemanden von so zierlichem Körperbau. Als Mitglied des Rugbyclubs, der im Universitätssport eine Randexistenz führte, kam er in näheren Kontakt mit englischen und kanadischen Studenten aus dem College und der Wirtschaftshochschule, von denen manche viel herumgekommen waren und viel Geld hatten. Archies zweite Trumpfkarte war sein Spanisch, das er fast wie eine Muttersprache beherrschte. Er benutzte es gern und ließ kaum ein Ereignis am College und nahe gelegenen anderen Institutionen aus, bei dem mit einiger Wahrscheinlichkeit lateinamerikanische Studenten anzutreffen waren. Ein Latino, der um 1950 auf ein neuenglisches College oder gar Internat geschickt wurde, kam mit Sicherheit auseiner reichen, prominenten Familie. So hatte Archie Clara beispielsweise in einer Veranstaltung über Maya-Kunst kennengelernt. Allmählich merkte er jedoch, daß leider nur sehr wenige dieser amüsanten Rugbyspieler und Lateinamerikaner Interesse an den College Clubs hatten und daß sie sich kaum in den provinziellen Gesellschaftskreisen bewegten, die für Archie wichtig waren.
Ein populäres Trinklied aus dieser Zeit behauptet: Zum Amüsieren, nicht zum Studieren ist das College da. Das paßte genau auf Archie, wenn man nützliche Freundschaften zum Amüsieren dazuzählte. Für Seminararbeiten blieb bei diesem Programm weder Zeit noch Kraft. Das fand ich schade, denn er hatte einen scharfen Verstand und eine schnelle Auffassungsgabe – genau wie Henry, meinte ich manchmal. Aber Archie kümmerte sich tatsächlich nicht um sein Studium, Henry dagegen wollte unbedingt verschleiern, wie hart er
Weitere Kostenlose Bücher