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Ehrensachen

Ehrensachen

Titel: Ehrensachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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das hätten sie sich sparen können. Du hältst sie trotzdem für Juden.
    Ich mußte zugeben, daß er damit recht hatte. Dann erklärte ich ihm, daß es auch einen weniger direkten Weg gebe und daß Archie und ich uns gleich nach unserer ersten Begegnung gefragt hätten, ob er wohl versuche, als Nichtjude durchzugehen. Henry wurde rot im Gesicht, und ich fürchtete, das sei das Ende unserer Unterhaltung und vielleicht unserer Freundschaft. Er antwortete mir jedoch sehr ruhig. Daß ich Jude bin, verschafft mir keinen Vorteil und macht mir keine Freude, das ist eine Tatsache, sagte er. Es hätte meine Eltern und mich beinahe das Leben gekostet. Aber das bringt mich nicht dazu, an Gott zu glauben. Es bringt mich dazu, ihn zu leugnen und mir zu wünschen, ich wäre nicht einer der Auserwählten, ich wäre nicht bei der Geburt in diese gräßliche Falle gestoßen worden. Trotzdem: Solange es Leute gibt, die es kümmert, ob ich ein Jude bin, der vorgibt, keiner zu sein, so lange muß ich Jude bleiben, auch wenn ich mir innerlich nicht jüdischer vorkomme als ein geräucherter Schweineschinken. Wenn jemand mich fragt, muß ich sagen, daß ich Jude bin – es sei denn, diese Wahrheit bringt mich in ein Konzentrationslager oder kostet mich das Leben. Das bin ich mir schuldig, sonderbar für einen wie mich, der nicht glaubt, daß er irgendwem irgendwas schuldet. Aber es ist eine Ehrensache für mich. Davon abgesehen, habe ich nicht vor, zur Schau zu stellen, daß ich Jude bin.
    Ich wußte nicht, ob ich das verstanden hatte, und muß ziemlich ratlos ausgesehen haben.
    Ich gebe dir ein Beispiel. Als wir, du, Archie und ich, uns zum erstenmal sahen, meinte ich nicht, ich hätte die Pflicht zu sagen: Hallo, hallo, ich bin Henry White, ein Jude. Oder einen gelben Stern zu tragen. Das hab ich schon getan, in Krakau.
    Ich sagte ihm, das sei wirklich absurd.
    Wirklich? Was wäre nötig gewesen, damit ihr, du und Archie, mich nicht verdächtigt hättet, daß ich versuche, als Nichtjude durchzugehen? Wenn schon kein gelber Stern, dann vielleicht eine Jarmulke oder Schläfenlocken? Brauche ich eine Visitenkarte, auf der »Jude« steht? Oder »Untermensch« – wie die Deutschen sagten? Übrigens, Streit mit meinen Eltern am Telefon gibt es meistens dann, wenn sie wissen wollen, ob und wie ich mich als Jude zu erkennen gebe. Als ich ihnen von dir und Archie erzählte, fragte meine Mutter als erstes: Warum hast du keine jüdischen Mitbewohner? Ich sagte, ich hätte euch nicht ausgesucht, es habe sich einfach so ergeben. Damit war sie nicht zufrieden. Sie sagte: Du hättest jüdische Mitbewohner verlangen können. Klar, erwiderte ich, habe ich aber nicht, und warum hätte ich sollen? Die Antwort auf diese Bemerkung willst du sicher nicht hören. Aber hier kommt die nächste Attacke: Wissen sie, daß du Jude bist? Ich sagte, sicher bin ich mir nicht, aber wenn sie intelligent genug für Harvard sind, müßten sie es herausfinden können, und wenn nicht, brauchen sie mich nur zu fragen. Möchtest du hören, was meine Mutter darauf sagte? Vielleicht sind sie zu höflich, hat sie gesagt. Das hat mir wirklich den Rest gegeben. Ich fragte, ob sie sich erinnern könne, daß du, und vielleicht Archie auch, viele Male am Telefon mit ihr und meinem Vater gesprochen habt, und ob sie etwa glaubt, daß ihr aus diesen Unterhaltungen geschlossen habt, wir wären mit der Mayflower ins Land gekommen. Dann bin ich brutal geworden, ich gebe es zu. Ich habe gesagt, wenn sie und mein Vater gewollt hätten, daß die Leute uns zweifelsfrei als Juden erkennen, dann hätten sie unseren Namen nicht ändern dürfen. Wenn wir noch Weiss hießen, dann hätte nur Vollidioten meinen können, wir seien keine Juden. Ja, als wir hier ankamen, haben sie unseren Namen geändert,so schnell sie konnten. Die offizielle Erklärung dafür lautet, daß White eine genaue Übersetzung ist und daß jeder hier weiß, wie man das Wort schreibt. Das ist natürlich albern; an Weiss ist nichts Ungewöhnliches, schon gar nicht in New York. Um auf deine interessante Frage zurückzukommen: Nein, ich versuche nicht, als Nichtjude durchzugehen, aber ich weiß, daß manche Leute nicht sofort denken, ich sei Jude, und ich tue nichts, um sie von diesem Irrtum abzubringen. Zum Teil irren sie sich wegen meines Namens, zum Teil, weil ich nicht besonders jüdisch aussehe. Aber der falsche Eindruck hält gewöhnlich nicht lange vor. Wegen meines Akzents fragen sie oft, woher ich komme. So wie Archie.

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