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Ehrensachen

Ehrensachen

Titel: Ehrensachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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arbeitete. Wer seine Gewohnheiten nicht kannte, hielt seine Standarderklärung, daß er alles in letzter Minute und unter Hochdruck in Nachtarbeit erledige, für glaubwürdig. Das zeigte nur, daß er ein gelehriger Schüler Archies war, also auch dessen Grundsatz übernommen hatte, man dürfe auf keinen Fall als Streber gelten, damit blamiere man sich noch mehr als mit dem himmelblauen Anzug oder der bräunlichen Flanelljacke aus Brooklyn. In Wirklichkeit arbeitete Henry hart und regelmäßig, aber beinahe heimlich und über Themen, für die er sich brennend interessierte. Solche Interessen hatte Archie nicht, und er war überzeugt, Henrys Erfolge seien der Beweis, daß man sehr gut durchkam, auch wenn man praktisch nichts tat.
    Die Frage, wie Jeanie in seine entstehende neue Welt passen werde, beunruhigte Archie. Zuerst glaubte er, sie werde es schon schaffen, sie müsse sich nur einen gewissen Schliff zulegen; darunter verstand er ein Repertoire von eingeübten Kunststücken, die sie auf ein Stichwort von ihm oderaus ihrem Gefühl für Situationen heraus vorzuführen hätte. Eines Tages verschwand er nicht gleich mit Jeanie in seinem Schlafzimmer, sondern sagte zu ihr: Komm, leg mal los mit Au clair de la lune . Sie sang auf Kommando, ihre Stimme war rein und sicher, ihre Aussprache sehr gut, obwohl sie kein Französisch konnte. Als ich meine Bewunderung zeigte, tätschelte er ihr den Hintern und sagte, in null Komma nichts werde er sie so weit haben, daß sie Auprès de ma blonde und La vie en rose singen könne. Und tatsächlich erweiterte er Jeanies Repertoire nach und nach um mehrere Hits von Piaf und Trenet. Man kann ihr alles beibringen, war seine Einschätzung.
    Einige Rugbyspieler beherrschten wie die reichen Latinos mehrere Sprachen, hatten wie diese viel Erfahrung mit luxuriösen Ferien an exotischen Orten und erzählten ebenso Geschichten von Abenteuern in führenden Bordellen. Auch sie hatten erstaunlich hohe Monatswechsel, die alles übertrafen, was ich bei Studenten ihres Alters für möglich gehalten hätte. Archies Charme und seine Erfindungsgabe, wenn es um Spaß ging, bewährten sich gut. Er wurde das Maskottchen dieser Rugbyspieler und Mitglied einer Gruppe mit wechselnden leichtlebigen Gestalten, die sich nach den Spielen zu Cocktailpartys, zum Essen im Chinarestaurant an der Church Street oder einem italienischen Lokal in North Boston trafen oder im Savoy Dixieland-Jazz hörten. Jeanie lernte schnell. Die Männer mochten sie: Sie war hübsch und nett, und sie schlief mit Archie, was ihren Status festlegte, so daß keiner der Männer sie unfreundlich behandelt hätte. Ob sie versuchten, bei ihr anzukommen, wenn Archie den Rücken drehte, und wie Jeanie reagierte, blieb dahingestellt. Ihr umgängliches Verhalten erwies sich jedoch als nicht ausreichend. Der Gegensatz zu den anderen Mädchen war zu groß. Er führte ohne Worte zu Spannungen, oder vielleicht fiel auch die eine oder andereherablassende, verletzende Bemerkung. Die Mädchen waren reich, wie die Männer, aber anders als diese bildeten sie sich etwas darauf ein. Neben ihnen wirkte Jeanie so, als hätte ihre Mutter oder Großmutter zum Personal der Großmütter dieser reichen Mädchen gehört, als eine irische Kammerzofe, wahrscheinlich eine von der besseren Sorte, der man delikate Stoffe zum Waschen und Bügeln geben konnte. Vielleicht war es wirklich so gewesen. Aber Jeanie hatte Mumm. Die Rolle, in die man sie drängen wollte, paßte ihr nicht, und sie brach von sich aus mit Archie. Dem tat es leid, daß nun Schluß mit den Begegnungen in seinem Schlafzimmer war. Aber man muß ihm hoch anrechnen, daß er keinen ernsthaften Versuch unternahm, Jeanie zurückzulocken.
    Ich war seltener als Henry Partygast von Archies Freunden. Wenn sie, wie üblich, freitags stattfanden, war mein Konzertabonnement für das Boston Symphony Orchestra ein hieb- und stichfester Grund, nicht zu kommen. Wahrscheinlich wäre ich ohnehin weggeblieben. Was sie zu sagen hatten, langweilte mich. Ich hatte keinen Zweifel, daß es Henry genauso ging; aber Archies Freunde waren eine Spezies, die er verstehen wollte, so wie er lernen wollte, Alkohol zu vertragen, Zigarren zu rauchen, Poker und Bridge zu spielen und andere Fertigkeiten zu erwerben, die ein Gentleman nach Archies Meinung beherrschen mußte. Aber weder diese Ziele noch sonstige Weisen der Zeitvergeudung, die Henry entweder für sich allein oder in Archies Gesellschaft entdeckte, schienen im Widerspruch zu

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