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Ehrensachen

Ehrensachen

Titel: Ehrensachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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Wenn ich antworte: Ich bin aus Polen und war dort während des Krieges, sagt sich womöglich jeder, der eine Ahnung hat, was dort vorging: Jude kann er nicht sein, sonst wäre er tot. Er muß ein normaler katholischer Pole sein, der seinen Namen geändert hat, weil er Wilczuk oder so ähnlich hieß, und sie fragen nicht weiter nach. Wenn das passiert, wünsche ich mir, ich hieße Weiss, oder besser noch Cohen oder Levin. Dann käme es nicht zu solchen Konfusionen. Dann könnten die Leute nicht sagen, ich würde versuchen, ihnen Sand in die Augen zu streuen. Diskussionen würden sich erübrigen. Aber die Leute, die sich in die Irre führen lassen, sind in der Minderzahl. Entweder sind sie nicht neugierig, oder sie wollen nicht als Schnüffler dastehen. Ein normaler Amerikaner fragt weiter, zum Beispiel: Wie hast du denn überlebt? Dann ist das Kind im Brunnen. Falls es dich interessiert: Ich wußte, daß ich dir und Archie nichts vormachen kann. Daß ihr gedacht habt, ich würde es versuchen, steht auf einem anderen Blatt. Das tut weh. Aber ich mach euch keinen Vorwurf daraus.
    Er sah niedergeschlagen aus. Ist gut, Henry, sagte ich ihm. Zwischen dir und mir steht nichts. Auch nicht zwischen dir und Archie, da bin ich mir sicher.
    Seine Miene hellte sich auf, und bis zum Ende der Mahlzeit und auf dem Weg durch den Yard zum Wohnheim redeten wir über Seminare und Filme. Aber als wir in unserem Wohnzimmer angekommen waren, sagte er, nun würde er das angefangene Gespräch gern fortsetzen.
    Du hast den Geist aus der Flasche gelassen, erklärte er. Ich habe noch mehr zu sagen. Du kannst ruhig erfahren, fuhr er fort, daß es für meine Mutter nicht nur wichtig ist, ob du oder Archie oder sonst jemand, den ich kenne, ob ihr wißt, daß ich Jude bin, und wenn ja, wie ihr es herausgefunden habt. Ihr Plan, mich – buchstäblich oder im übertragenen Sinn – daran zu hindern, daß ich das Elternhaus verlasse, ist vielschichtiger. Weißt du, auf ihre Weise sind sie gute Eltern. Sie wollen, daß ich ein Dach über dem Kopf habe und ordentliche Kleider, vorausgesetzt, meine Mutter sucht sie aus. Und natürlich eine hervorragende Ausbildung. Dafür sind sie zu finanziellen Opfern bereit, aber die waren bis jetzt nicht nötig. Die Highschool war kostenlos, und hier habe ich ein Stipendium. Natürlich möchten sie, daß ich Erfolg habe, und sie möchten, daß ich die richtigen Möglichkeiten dafür finde. Aber es gibt eine Grenze. Zu hoch hinaus soll ich nicht. Dickens hätte wohl gesagt, ich darf nicht versuchen, mich über meinen Stand zu erheben. Das ist eine große, aber unausgesprochene Angst. Zum Teil ist es kluge Vorsicht. Im Krieg haben wir alles verloren, und sie wollen nicht, daß ich abstürze. Sie machen sich immer Gedanken ums Geld, auch jetzt noch, obwohl mein Vater gut im Geschäft ist. Das kann ich verstehen. Zum Teil ist es die Sorge, daß ich hochfliege und in den höheren Sphären bleibe, denn das wird mich auch in Versuchung führen, sie beide zu verlassen. Darum ist es für meine Mutter sehr wichtig, ob ihr, du und Archie, reich seid. Wenn ja, dann sollte ich vielleicht nicht so viel Zeit mit euch zubringen, und vielleicht solltet ihr nicht meine besten Freunde sein.Ihr könntet mir ja Flausen in den Kopf setzen und schlechte Gewohnheiten beibringen. Ich habe ihnen erklärt, ich dächte nicht, daß ein Oberst so viel Geld verdient wie mein Vater, und daß du mir nicht reich vorkämst, obwohl ich das nur vermuten könne. Trotzdem, im Sprachgebrauch der Whites seid ihr beide Henrys reiche nichtjüdische Freunde; nun weißt du es.
    Stop, sagte ich. Eins kann ich dir gleich sagen: Meine Eltern sind nicht reich, sie wären es nur gern.
    Er musterte mich mit einem Ausdruck, den ich für skeptisch hielt. Meine Mutter würde dir nicht unbedingt glauben. Sie findet übrigens, daß du sehr höflich bist, aber es sei eine reservierte, nichtjüdische Höflichkeit. Lauwarm, sagt sie.
    Ich wußte nicht, was ich sagen sollte, ob ich überhaupt etwas sagen sollte. Henry war sehr rot geworden und starrte mich an. Ich fand das Schweigen ungemütlich und erzählte ihm, daß ich mich gern mit seiner Mutter unterhielte.
    Quatsch, sagte er. Das kann nicht sein.
    Ich stand von meinem Sessel auf und ging zur Toilette. Als ich wiederkam, sagte er, verzeih mir, es tut mir leid, daß ich mich so in Rage geredet habe. Ich möchte versuchen, dir zu erklären, warum. Zur Zeit höre ich immer dasselbe Lied: Ich soll mich lieber auf

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