Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ehrensachen

Ehrensachen

Titel: Ehrensachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
Vom Netzwerk:
wörtlichen und übertragenen Sinn nicht länger verschlossen wären; vielleicht durfte ich nun in Mr. Standishs berühmtem Schwimmbecken schwimmen, ein Privileg, das, wie man mir allzuoft erklärt hatte,den besonders begünstigten Kindern und Teenagern vorbehalten war. Vielleicht würde ich im Sommer sogar zu den Sonntagsessen der Standishs eingeladen werden. Für meine Eltern würden sich diese Tore nicht öffnen, aber ich fand nicht, daß ich deshalb aus Pflicht oder Stolz gezwungen wäre, solche Einladungen abzulehnen, wenn sie denn kämen; genausowenig würde ich mir von Pflicht oder Stolz vorschreiben lassen, Georges Freundschaft zurückzuweisen.
    Als ich kam, waren meine Eltern zu Hause, noch mit dem Umkleiden beschäftigt. Ich zog mir in aller Eile den Abendanzug an und wartete dann im Wohnzimmer auf sie. Mein Vater brachte ein Tablett mit ihren Gläsern und dem Shaker herunter und mischte eine neue Runde Martinis. Er fragte mich, ob ich einen wollte. Ich sagte, ich sei zu einem Drink bei George eingeladen, und ließ dann noch irgendwie verlauten, daß ich beim Fahren einen klaren Kopf haben wolle. Meine Mutter horchte auf. Sie sagte: Was immer du machst, fahr bloß nicht mein Auto zu Schrott. Und dann, zu meinem Vater gewandt: Vielleicht fahre ich. Und vielleicht auch nicht, erwiderte er. Kommt überhaupt nicht in Frage.
    Ich betrachtete die beiden. Sie hatten aufgeschwemmte Gesichter, aber im großen und ganzen waren sie ein gutaussehendes Paar. Daß sie sehr schmal und genau richtig angezogen waren, unterstützte diesen Eindruck, ebenso wie die Lichtquellen im Zimmer: Tischlampen mit rosa Glühbirnen. Meine Mutter trug ein silbriges trägerloses Schlauchkleid. Ihre Brüste waren nicht nennenswert, und ihre Haltung wirkte, im Profil gesehen, merkwürdig, ein bißchen wie ein sexy Fragezeichen. Ihre Beine waren außergewöhnlich lang und wohlgeformt. Mit Freundinnen konnte sie nichts anfangen, sie schätzte Männer, vielleicht sogar meinen Vater, und Männer umschwärmten sie. Durchaus achtbare Männer und auch solche, über die geredet wurde.Ich fragte mich, ob ich sie jetzt, da ich wußte, daß sie nicht meine leibliche Mutter war, eher so sehen konnte, wie andere Männer sie sahen, aber viel hatte sich an meinem Blick wohl nicht geändert.
    Bringst du morgen deinen Zimmergenossen mit? fragte sie. Bitte nicht zu früh. Mein Vater unterbrach: Laß uns lieber zu einem späten Brunch in den Club gehen. Ich sagte, ich müsse auch Margot und George einladen. Die Nachricht, daß George sein Gast sein werde, ließ meinen Vater aufhorchen. Er ermahnte mich, den Eltern Standish, die er bei diesem Anlaß Jack und May nannte, seine und Mutters guten Wünsche zum neuen Jahr zu überbringen, und bot mir noch einmal einen Martini an. Ich küßte meine Mutter, schüttelte ihm die Hand und machte mich bereit, in die Kälte hinauszugehen. Das Thermometer an der Tür zeigte zwölf Grad minus an. Mein Vater folgte mir bis zur Schwelle und las selbst die Temperatur ab. Nimm den alten Waschbärpelz, sagte er, na los, er wird dich nicht beißen. Ich dankte ihm und zog den Pelz an.
    Ich war unschlüssig, wie weit entfernt von der Haustür der Standishs ich parken sollte, wenn ich in der kreisförmigen Einfahrt parkte, und ich wußte nicht, ob mein Wagen überhaupt in die Einfahrt gehörte. Drei Autos standen schon da: der Kombi, den George gefahren hatte, und zwei andere Kombis. Ich nahm an, die Familie fuhr nur diesen Wagentyp. Ein paar andere Autos standen auf dem Parkplatz vor der riesigen Garage, die früher ein Stall gewesen sein mußte. Es erschien mir taktisch klug, den Pelz auf der Rückbank und das Auto auf dem Parkplatz zu lassen. Der Schnee war säuberlich geräumt und weggefegt. Die Reste knirschten fröhlich unter meinen Füßen. An der Tür hielt mir ein Diener ein Tablett mit Drinks entgegen. Ich nahm ein Glas Champagner. Champagner gehörte in den Berkshires nicht zum Standard, sowenig wie ein Mann mit weißen Handschuhen oder überhaupt ein Diener, es sei denn, der Kellner des Clubs half an seinen freien Abenden aus. Auch Kellnerinnen im schwarzen Satinkleid, weißen Spitzenschürzen und Häubchen, die sie aussehen ließen wie Kammerzofen in einem französischen Film, waren ein ungewohnter Anblick. Ich dachte an Henry und seine Bemerkung, daß er eine neue Welt betreten habe, als er im Studentenwohnheim das Schlafzimmer mit Aussicht bezog. Was für einen Eindruck hatte er jetzt? Wahrscheinlich sagte er sich mit

Weitere Kostenlose Bücher