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Ehrensachen

Ehrensachen

Titel: Ehrensachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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nicht. Anfangs versuchte Mrs. Standish, die Führung zu übernehmen, das verwirrte mich noch mehr. Wir machten grimmig weiter, bis sie sagte, sie sei durstig, und fragte, ob ich sie nicht zum Tisch zurückbringen und ihr etwas zu trinken holen wolle. Sie würde sich gern mit mir unterhalten. Beschämt, aber dankbar bahnte ich mir den Weg zur Bar. Als ich mit zwei Gläsern Champagner an den Tisch kam, sah ich, daß wir beide allein waren.
    Sie schenkte mir ein sparsames Lächeln und sagte: Wie hübsch, jetzt können wir uns wirklich unterhalten.
    Ich nahm an, daß die Unterhaltung sich um Margot drehen sollte, mit gelegentlich eingestreuten Banalitäten über meine Eltern. Es kam jedoch ganz anders. Mit einer Stimme, die leicht war wie eine übers Wasser gleitende Libelle, murmelte sie: Dein Mitbewohner ist so charmant. Wie interessant, daß ihr euch angefreundet habt, du, George und er. Du kennst Henry wohl schon lange.
    Ich sagte, daß wir uns zum erstenmal in unserem Zimmer im Wohnheim begegnet seien, am Tag, als meine Mutter mich in Cambridge abgeliefert habe. Unseren anderen Mitbewohner hätte ich auch nie vorher gesehen, er sei Sohn eines Berufsoffiziers und wegen der Versetzungen seines Vaters viel herumgekommen.
    Oh, wie interessant, sagte Mrs. Standish. Ihr habt einander ausgesucht, ohne euch vorher gesehen zu haben!
    Jetzt wußte ich, worauf sie hinauswollte. Um Zeit zu gewinnen, lachte ich und sagte, wir hätten nichts dergleichen getan. Das Wohnungsbüro der Universität habe Gott gespielt und alle Entscheidungen getroffen. Das Wunder dabei sei, daß wir drei uns so ausgezeichnet verstünden.
    Oh, sagte Mrs. Standish wieder, diesmal nachdenklicher. Ein merkwürdiges System. Oder vielleicht auch nicht. Ich nehme an, Henry kannte niemanden in Harvard. Oder irre ich mich? Vielleicht hatte er schon eine Menge Freunde aus New York. Er ist doch aus New York? Ich glaube, das hat er mir erzählt. Oder war es George?
    Ich wollte sie nicht korrigieren und darauf aufmerksam machen, daß Henry in Brooklyn wohnte, also sagte ich, sie habe ganz recht. Dann wollte ich die Unterhaltung in ein breiteres Fahrwasser lenken und merkte an, daß die Universität viel mehr Wohngemeinschaften zusammenstelle, als man vermuten würde. Zum Beispiel sei ich als einziger aus meiner Schulklasse nach Harvard gegangen und hätte am College niemanden außer George gekannt. Ich hätte vorausgesetzt, daß er schon mit anderen zum Zusammenwohnen verabredet gewesen sei, und das habe sich bestätigt.
    Er hätte dich so gern als Mitbewohner gehabt, versicherte mir Mrs. Standish. Du hättest es vorschlagen sollen, sobald du wußtest, daß du gehen würdest. Oder er hätte daran denken sollen. Aber ihr seid alle so brillant und zugleich so ganz und gar schusselig! Jack und ich freuen uns sehr, daß ihr nun doch noch gute Freunde geworden seid. Wir haben immer gedacht, so solle es sein, aber natürlich möchte man sich nicht einmischen.
    Ich war mir nicht ganz sicher, ob ich ihr glauben sollte, konnte aber leicht sagen, daß ich mich auch sehr freue. Schließlich war das die Wahrheit.
    Mrs. Standish war mit ihren Gedanken jedoch bei Henry. Wie gut der Junge tanzen kann, rief sie. Walzer habe ich seit Jahren nicht mehr getanzt. Er hat mich ganz schwindlig gemacht. Er ist Pole, hat er mir erzählt, glaube ich, und nach dem Krieg mit seinen Eltern hierhergekommen. Das erklärt den Walzer und den hübschen kleinen Akzent. Danach wollte ich ihn eigentlich fragen. Wo hat er sich vorbereitet?
    Das Außerordentliche sei, daß er sich praktisch überhaupt nicht vorbereitet habe, sagte ich. Er sei ein Jahr in Polen ins Gymnasium gegangen und zwei Jahre in eine Highschool in New York, mehr nicht. Schuld daran sei der Krieg.
    Ganz erstaunlich. Drei Jahre Schule und dann das Harvard College. Seine Schulen müssen sehr gut gewesen sein. Aber natürlich ist er ganz außergewöhnlich.
    Obwohl das keine Frage war, antwortete ich: Ja, das ist er!
    Sie hätte gern weitergefragt, das war klar, aber Mr. und Mrs. Livingston, ein Paar von ebenso hohem Rang wie die Standishs, kamen an unsern Tisch. Ich sprang auf, um Mrs. Livingston einen Eierpunsch zu holen. Sobald wir wieder allein waren, fragte Mrs. Standish, ob White ein polnischer Name sei. Zumindest sei er ungewöhnlich, denn die Polen,die sich im Berkshire County angesiedelt hätten, hießen alle Kowak oder Nowak. Es gibt so viele hier, betonte sie, in West Stockbridge haben sie sogar einen eigenen polnischen

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