Ehrensachen
durcheinanderliefen und gute Nacht sagten, fragte George, ob er zu ihr ins Zimmer kommen könne, wenn alle im Bett lagen. Sie sagte, in Ordnung, aber nicht zu lange. Natürlich machen sie in Cambridge rum, meistens, wenn er sie abends nach Hause bringt, aber sie sind nie sehr weit gegangen. Sie lag im Bett, im Pyjama, las und wartete auf ihn. Sie hätte ihr Abendkleid anbehalten, wenn es nicht so unbequem gewesen wäre, aber BH und Slip hatte sie ohnehin nicht ausgezogen. Unter uns gesagt, ich bin mir sicher, sie hat gedacht, das sei besonders sexy, und sie wird nichts gegen eine Knutscherei innerhalb der verabredeten Grenzen gehabt haben. Jedenfalls kommt George ungefähr eine halbe Stunde später auf Zehenspitzen angeschlichen, und sie machen, was sie immer machen, vielleicht auch etwas mehr, nur will George diesmal nicht aufhören, er sagt, er will alles. Sie sagte nein, dann stritten sie ein bißchen, dann erlaubte sie ihm noch etwas mehr; von einem bestimmten Punkt an glaubte sie, die Luft sei raus, denn George wurde ganz still, als hätte er das Interesse verloren. Jedenfalls küßte er sie noch einmal sehr nett und ging. Sie zog die Unterwäsche aus, fiel ins Bett und war sofort weg. Wahrscheinlich eine kombinierte Wirkung des Champagners im Club und des Absackers im Haus. Sie schlief wie eine Tote, und als sie aus diesem Schlaf auftauchte, fand sie George, nicht nur in ihrem Bett. Er war in ihr. Sie schrie nicht und unternahm auch sonstnichts, sie wartete, bis er fertig war. Ihre Periode hatte sie gerade erst gehabt, soweit gab’s kein Problem. Aber dann, als er anfing zu erzählen, wie er sie liebe und wie glücklich sie ihn gemacht habe, schnitt sie ihm das Wort ab und sagte, er sei ein Scheißkerl, und es sei Schluß und aus mit ihnen. Mrs. Standish werde sie nichts verraten, und sie werde auch nicht mit dem nächsten Zug nach Hause fahren, aber sie warne ihn, er solle sie ja in Ruhe lassen.
So kann man das neue Jahr auch anfangen. Grandios, was George sich da ausgedacht hat, sagte ich.
Henry nickte. Es geht noch weiter, sagte er. In der nächsten Nacht – das war die Nacht, bevor Margot und ich wieder nach New York fuhren – gingen alle im Haus früh schlafen. Alle waren angeschlagen. Ich weiß nicht, ob du die oberen Stockwerke im Standish-Haus kennst. Elternschlafzimmer, Kinderzimmer und das feinste Gästezimmer, Margots Nachtquartier, liegen im ersten Stock zu beiden Seiten eines breiten Korridors, der mehr wie eine große Diele ist. Die kleineren Gästezimmer sind eine Etage höher. Dort war ich untergebracht. In dem Stockwerk war es kalt, viel kälter als im übrigen Haus, aber ich hatte drei Decken und fühlte mich sehr gut aufgehoben. Irgendwann mitten in der Nacht merkte ich, daß meine Tür aufging. Was glaubst du – es war Margot. Sie sagte: Ich bin’s, darf ich bei dir bleiben? Zeit zum Antworten ließ sie mir nicht, sie schlüpfte zu mir unter die Decken und legte die Arme um mich. Ich kann nicht schlafen, sagte sie. Ich hab zuviel Angst, daß er noch mal so was versucht. Mein Herz klopfte wie verrückt. Sie hatte keinen Pyjama an, nur ein Nachthemd und nichts darunter, das konnte ich fühlen. Sie sagte, ihre Füße seien eiskalt, und legte sie auf meine, um sie zu wärmen. Sie waren wie Eisklumpen. Aber als ich versuchte, Margot zu streicheln, sagte sie, bitte, bitte nicht, so kann’s nicht sein, ich bin zu dir gekommen, weil du mein Bruder sein sollst.Ich fragte: Weißt du denn nicht, daß ich dich liebe? Das sei albern, gab sie zurück, weil ich nichts von ihr verstehe, und wenn ich etwas verstünde, würde ich nicht mehr so empfinden. Dann sagte sie, bitte laß uns jetzt schlafen. Bevor es hell wird, gehe ich wieder. Sie drehte sich auf die Seite und wollte, daß ich die Arme um sie lege. So blieben wir, bis sie ging. Sie hat geschlafen, ich habe kein Auge zugetan, glaube ich.
Warum, meinst du, tut sie es nicht mit dir?
Er zuckte die Achseln und sagte: Wahrscheinlich aus genau den Gründen, über die wir so oft geredet haben. Es spielt keine Rolle, ob sie mich gern hat. Sie weiß, daß ich nicht der Richtige für sie bin. Vielleicht gibt es noch einen anderen Grund, der ist mir in der Nacht eingefallen. Womöglich will sie nicht, daß ich merke, wieviel Erfahrung mit Sex sie hat. Wahrscheinlich ist das Unsinn, eine von diesen angelesenen Ideen. Könnte ich denn merken, wieviel sie weiß, und wenn schon, wäre es mir nicht ganz egal?
Und wie geht es jetzt weiter? fragte ich.
Gar
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