Ehrensachen
erklärte mir der für meinen Fall zuständige Dekan, ein freundlicher Mann, ebenfalls ein Pfeifenraucher, daß ich aus medizinischen Gründen beurlaubt sei. Plötzlich fühlte ich mich verlassen. Was sollte aus mir werden? Ich protestierte nicht, sondern fragte, ob ich ans College zurückkommen dürfe und wie lange die Beurlaubung dauern sollte. Ich hoffte, daß er nicht gemerkt hatte, wie ich zitterte.
Mr. Standish, erklärte er mir, Sie müssen realistisch sein. Sie sind nicht in der Lage zu arbeiten. Sie achten nicht auf sich. Solange Sie in diesem Zustand sind, hat es keinen Sinn, daß Sie sich hier aufhalten. Kommen Sie wieder, wenn Sie gesund sind. Er werde sich mit dem Seniortutor meines Hauses in Verbindung setzen, fügte er hinzu. Ich war am Boden zerstört, mußte aber einsehen, daß er recht hatte.
Es zeigte sich, daß der Dekan nicht nur Tom Peabody informierte. Ohne mich vorzuwarnen, rief er meine Eltern an, ein Vertrauensbruch, der mich wurmte, aber als Tom, dessen Geduld, wie ich fürchtete, allmählich nachließ, mir vorhielt, ich hätte mir doch wohl nicht eingebildet, daß man sie im dunkeln lassen würde, fiel mir kein Argument dagegen ein, ich wiederholte nur mißmutig, er hätte erst mit mir darüber reden müssen. Also kamen sie nach Cambridge und beteiligten sich an der Diskussion, wo man mich wegsperren sollte. Was macht man mit dem verrückten Sohn? Die Anwesenheit meines Vaters widerstrebte mir besonders. Mir mißfielen seine langen, auf den Tisch trommelnden Finger, blaß und sommersprossig wie meine; seine höfliche, pedantische Diktion; seine Augen, die blaßblau wie meine waren und zu lächeln versuchten, für mich aber die Augen eines Trinkers blieben, in denen ich immer die kleinen roten Adern sah, auch wenn er sie noch so ausgiebig mit Augentropfen gespült hatte. Meine Wut auf ihn lenkte mich von meiner Mutter ab und auch von der Aussicht auf die Leere, die Dr. Winters mir eröffnete, obwohl ich das zu diesem Zeitpunkt noch nicht begriff. Ihm war ebenfalls nicht zu trauen. Jetzt, vor Publikum, da alle drei mich in der Mangel hatten, rückte er damit heraus, daß mir nur die Wahl zwischen verschiedenen Heilanstalten blieb. Mein Verdacht war, daß er eine meterlange Liste hatte, aber drei standen ganz obenan: das McLean in Belmont, vor den Toren von Cambridge, Silver Hill in Connecticut und ausgerechnetdas Austen-Riggs-Center in Stockbridge. Ich sagte, in keines davon würde ich gehen. McLean war eine Anstalt mit Zwangsjacken und Elektroschocktherapie; als ich den Namen hörte, packte mich Entsetzen. Auf die beiden anderen reagierte ich mit Hohn, auf Silver Hill wegen der Geschichten von Alkoholikern, die zum Entzug dorthin geschickt wurden und unmittelbar nach der Rückkehr von ihren langen Aufenthalten wieder zur Flasche griffen – einmal hatte meine Mutter tatsächlich meinen Vater überreden wollen, sich dort anzumelden –, und mein Hohn auf Riggs spiegelte das, was man in den Berkshires erzählte: Dort würden sich reiche Irre und Schmarotzer vor Ehemännern, Frauen, Kindern und anderen möglichen Verpflichtungen verstecken. Ich wollte nicht als Riggs-Patient bekannt werden und gab auch nicht nach, als Dr. Winters seine Taktik änderte und mir erzählte, ich könne mich dort vielleicht ambulant behandeln lassen. Meine Eltern hatten zu keinem Vorschlag viel zu sagen, und als der Name Riggs fiel, verstummten sie ganz. Ich durchschaute sie. Es wäre nicht angenehm gewesen, mich dort zu haben. In jeder anderen Klapsmühle wäre ich allen aus den Augen und, so konnten sie hoffen, auch aus dem Sinn. Georges Eltern würden Bescheid wissen, wegen George, aber sie würden keine Geschichten über den Retter ihres Sohns herumerzählen. Besonders, da sie denken mochten, alles sei dessen Schuld. So saßen wir in einer Sackgasse, weil weder der Psychiater noch meine Eltern den Mut hatten, mich gegen meinen Willen wegzusperren. Vielleicht meinten sie auch, das sei nicht durchzusetzen. Tom, für mich wieder einmal der einzige vertrauenswürdige Mensch, dachte sich eine Lösung aus. Ich würde in Cambridge bleiben, außerhalb vom Campus wohnen und von einem Psychiater am Ort betreut werden. Er konnte den Dekan und Dr. Winters überzeugen und fand dann den Psychiater und die Unterkunft. Am Ende der Woche nach Thanksgiving warich Pensionsgast im Haus von Madame Shouvaloff in der De Wolfe Street und Patient von Dr. Jakob Reiner geworden. Als meine Eltern abreisten, erklärte ich ihnen, daß ich
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