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Ehrensachen

Ehrensachen

Titel: Ehrensachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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berechtigt, dort zu sein, und brauche den Vorwand meiner Anwesenheit nicht. Daraufhin begann Wilmerding sein Katz-und-Maus-Spiel mit ihm, ein Spiel mit dem Ziel, ihn zu demütigen, denn Wilmerding ist eine Hauskatze und frißt keine Mäuse. Wenn du ihn gut genug kennst, wird dir klar, daß Ralph jedes Spiel, das er sich aussucht, gewinnt. Egal, ob Schach oder Dame oder Gedächtnisspiele, wer die meisten Daten berühmter Schlachten weiß oder wieviel Runden Joe Louis gegen Tommy Farr geboxt hat, und so weiter, er gewinnt immer. Ich weiß nicht, ob Wilmerding und Henry wirklich gespielt haben, aber wenn, dann hat Wilmerding bestimmt gewonnen. Und auf einmal kam Henry mit einem eigenen Spiel an: ein Stück zur Aufführung bringen, von dem noch nie einer gehört hat. Und Wilmerding hatte keine Chance, ihn zu schlagen. Da blieb nur eine Lösung. Henrys Verbannung! Um der bewährten gesellschaftlichen Ordnung willen.
    Nachdem er dies gesagt hatte, faltete Tom seine Serviette und stand auf. Ich folgte ihm bis zu seiner Wohnungstür. Bevor er hineinging, sagte ich, ich möchte Sie etwas fragen: Was halten Sie wirklich von Wilmerding und Kompanie?
    Tom zog die Brauen hoch. Nicht viel. Aber als Kollegiaten sind sie ganz akzeptabel: gutaussehend, gut angezogen und einigermaßen kultiviert.
    Aber bezogen auf diesen Fall, beharrte ich, auf das, was sie gemacht haben.
    Sie haben ihn rüde behandelt, erwiderte Tom. Aber mach dir nicht zu viele Sorgen um Henry. Ich glaube, der ist fast unverwüstlich.
    Nach dem Lunch dachte ich über Vorfälle nach, die ich jetzt, nach Toms Bemerkungen, in neuem Licht sah. Es stimmte, daß nur einer vom Parnaß – Jack Merton – zu Ryans Premierenfeier gekommen war, und Tom Peabody natürlich, obwohl Henry alle eingeladen und seine Einladung am Tag vor der Premiere noch einmal in meinem Beisein wiederholt hatte. Auch war mir in letzter Zeit mehrfach beim Mittag- und Abendessen aufgefallen, wie schwer es Henry gemacht wurde, zum Zug zu kommen: Ganz gleich, was er sagte, Wilmerding oder Scott Allen fielen ihm ins Wort, übertönten ihn, da sie lauter redeten als er, und lenkten die Unterhaltung in eine andere Richtung. Ungefähr so benahmen sie sich immer. Sie genossen ihre eigenen verknappten Witze und Anekdoten, die Außenstehende manchmal kaum entschlüsseln konnten. Aber bei diesem letzten Lunch waren sie gezielt brutal gewesen. Wilmerding hatte Fragen, die Henry an ihn richtete, überhört – statt zu antworten, drehte er ihm den Rücken zu und redete mit Thatcher oder Burlingham –, und Scott Allen hatte ein- oder zweimal in seinen Antworten auf etwas, was Henry gesagt hatte, dessen Akzent nachgeäfft.
    Ich war überzeugt, daß Henry wußte, was los war, und in den Tagen nach meinem Gespräch mit Tom wartete ich immer an der Tür zum Speisesaal auf ihn, so daß wir zusammensitzen konnten, oder wenn er vor mir gekommen war, ging ich zu ihm, wo immer er saß. Daß er noch einmal versuchen würde, zum Parnaß aufzusteigen, glaubte ich nicht, aber ich wollte nicht als erster die Veränderung in seinem Verhältnis zu Wilmerding ansprechen. Es dauerte jedoch nicht lange, bis Henry mich fragte, ob ich ihm erklären könne, was er Ralph und dem Rest der Clique eigentlich getan habe.
    Ich scheine der Staatsfeind Nummer eins geworden zu sein, sagte er, und ich weiß nicht, was ich verbrochen habe.
    Inzwischen war ich überzeugt, daß Tom in allem recht hatte, aber mir fehlte der Mut, seine Erklärung an Henry weiterzugeben. Ich gab eine ausweichende Teilantwort, sagte, alle außer Merton seien blasierte, zweitklassige Schnösel, die nicht hinnehmen könnten, daß jemand Erfolg habe, der kein Gründungsmitglied ihres Clubs sei, aber täglich mit ihnen in Kontakt komme. Ich sei es leid, sie ständig beim Mittag- und Abendessen zu sehen, sagte ich dazu. Wenigstens das stimmte ganz und gar.
    Damit war das Thema vorläufig abgeschlossen. Aber ein paar Tage später fragte er mich aus heiterem Himmel, ob ich mir vorgestellt hätte, daß Ubu zum Mühlstein an seinem Hals werden würde.
    Ich schüttelte den Kopf.
    Aber so ist es, sagte er, sehr wahrscheinlich, weil die Aufführung so gut gegangen ist. Wäre sie ein Reinfall geworden, hätten manche Leute vielleicht gekichert, aber niemand hätte es wichtig genommen. Und jetzt habe ich nur Ärger damit. Nicht bloß Probleme mit Wilmerding – dahinter steckt womöglich mehr als nur mein Erfolg, aber was genau, weiß ich nicht. Und das altphilologische Seminar

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