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Ehrensachen

Ehrensachen

Titel: Ehrensachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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verbrachten immer weniger Zeit miteinander, denn Henry war in seinem letzten Studienjahr ausgelastetdurch seine Kurse und hatte mit seiner schriftlichen Arbeit in einem Spezialfach angefangen. George war kein Kandidat für eine Arbeit in einem Spezialfach, aber er war mit Edie Bowditch zusammen, einer Radcliffe-Studentin im ersten Jahr; und weil eins zum anderen kam – Edie, die Rudermannschaft und die Kurse, hatte er auch keine Zeit mehr. Ich mochte Edie. Ohne sich zu wiederholen, redete sie wie ein Wasserfall über ihr großes Thema, das Milieu alteingesessener New Yorker Familien – das Milieu ihrer Eltern, das ich nur aus Edith Whartons Romanen kannte. Aber ihre Arbeit war ihr sehr wichtig, und sie tat viel, um Georges Aufmerksamkeit nicht zu verlieren. Diese Doppelbeschäftigung ließ ihr höchstens Zeit, nach den Elf-Uhr-Kursen eine Tasse Kaffee mit mir zu trinken. Blieben Tom Peabody, Jack Merton und Archie; sie sah ich am häufigsten. Archie und ich hatten unsere Squashspiele wieder aufgenommen, sobald der Arzt mir grünes Licht gab, und Archie half mir mit bemerkenswerter Geduld, in Form zu kommen. Ich hatte das Gefühl, daß er gelassener als früher mit mir umging, wahrscheinlich weil er meinen Zusammenbruch als Bestätigung dafür nahm, daß ich nicht ganz richtig im Kopf war. Das muß für ihn die Mißbilligung, die ich in unserem ersten Jahr zur Schau getragen hatte, erträglicher gemacht haben. Auch ich war gelassener, allerdings hatte meine neue Einstellung zu ihm mehr mit Toleranz zu tun als mit Billigung. Wir gingen zusammen ins Kino, und an einem dieser Abende erzählte er mir, daß er während der Besuchszeiten nicht gut in seinem Zimmer bleiben könne. Margot komme inzwischen jeden Tag, und Henry fühle sich viel wohler, wenn er dann die Wohnung für sich haben konnte.
    Kurz nach Thanksgiving nahm der Atlantic Monthly einen Auszug aus meinem unfertigen Roman zur Veröffentlichung an. Er erschien im Februarheft. Ich hätte nie gewagt, den Text einzureichen; Professor MacLeish mußte mir fastbefehlen, meine Arbeit zusammen mit seinem Empfehlungsschreiben zur Post zu bringen. Zuerst die Nachricht, daß der Auszug angenommen war, und dann seine Publikation hatten eine Reihe Konsequenzen, von denen ich manche komisch fand. Zum Beispiel sagte mir Dr. Reiner am Ende einer Sitzung, daß seine Frau, die den Atlantic lese und eine Literaturkennerin sei, meinen Text sehr gelungen finde. Dies war das erste Mal, daß er ihre Existenz erwähnte oder mit mir ein Gespräch führte, das nichts mit der Therapie zu tun hatte und nicht wie gewöhnlich dazu diente, meine Fragen zurückzuweisen oder mich anzustacheln, härter an den Themen zu arbeiten, die wir in Angriff genommen hatten. Ob er meinen Romanauszug ebenfalls gelesen hatte, verriet er mir nicht, aber ich glaubte in seinem Verhalten ein neues Interesse an meiner Person zu spüren. Ich fragte mich, ob er seiner Frau erzählt hatte, daß ich sein Patient war. Ein anderes Beispiel: Henry lud mich im Namen seiner Eltern zu einem Besuch über Weihnachten ein. Er sagte: Meine Mutter will unbedingt Herrn Mitbewohner, den zukünftigen berühmten Autor, zu Gast haben. Um mir eine zusätzliche Attraktion zu bieten, erwähnte er, daß Margot sicherlich ein Dinner oder Cocktails mit ihren Eltern arrangieren werde.
    Mr. und Mrs. White hatte ich seit dem Dinner im Henri IV . zur Feier von Henrys Geburtstag nicht mehr gesehen, aber ich hatte an sie gedacht und Mrs. Whites Telefonate und meine Rolle als Anrufbeantworter und Puffer zwischen Mutter und Sohn gelegentlich vermißt. Auch hatte ich mich gefragt, ob sie, streitlustig wie sie war, meine Entscheidung, nach unserem ersten Jahr nicht mehr mit Henry und Archie zusammenzuwohnen, womöglich übelgenommen hatte. Offenbar nicht, oder sie hatte mir verziehen, vielleicht weil ihr klargeworden war, daß die späteren Ereignisse, New Orleans und mein Zusammenbruch, ohnehin alle Pläne zumZusammenwohnen zerschlagen hätten. Allerdings konnte man nicht davon ausgehen, daß Mrs. White von diesen Ereignissen etwas erfahren hatte; sie fielen womöglich in die Kategorie der Informationen, die Henry seinen Eltern lieber ganz vorenthielt oder nur in stark zensierter Form präsentierte. Ich hatte keine Pläne für die Feiertage, wollte Heiligabend oder Weihnachten jedoch nicht zu Hause verbringen. Das war eine grausame Entscheidung; ich begriff, daß mein Fehlen bei den wenigen Festen, die wir normalerweise als Familie mitgefeiert

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