Ehrensachen
aufführten.
Meinst du wirklich, wir sollten das machen? fragte ich George. In Anbetracht der Verhältnisse?
Er wurde rot und sagte: Das hätte ich mir denken können, daß du auch Bescheid weißt.
Ich nickte.
Er dachte nach und sagte: Henry hat es uns von sich aus erzählt, niemand hat ihn dazu gezwungen.
Mir war klar, daß Bayencourt und vielleicht auch die Gelegenheit zum Voyeurismus ihn lockten. Dann zuckte er die Achseln und sagte, wahrscheinlich fällt der gute Henry vor Schreck um, wenn er uns in die Auffahrt einbiegen oder über die Zugbrücke rollen sieht, oder wie immer man zu dem Château kommt. Wenn wir vorher anrufen, kann er uns immer noch absagen. Hast du die Telefonnummer?
Ich schüttelte den Kopf.
Schade, sagte George. Ich würde sie schon gern sehen, aber ich glaube, wir sollten jetzt lieber konzentriert nachdenken, wie wir zu einem guten Essen in Dijon kommen.
Henry traf am letzten Tag der Einschreibungsfrist in Cambridge ein. Wir sahen uns am selben Abend beim Essen im Haus. Es war meine erste Mahlzeit dort; ich hatte seit meiner Rückkehr aus Frankreich bei Madame Shouvaloff gewohnt und darauf gewartet, daß die Studentenwohnheime und Häuser wieder geöffnet wurden. In der Zwischenzeit ging ich zu meinen Sitzungen mit Dr. Reiner. Soweit ich erkennen konnte, machten wir kaum Fortschritte, aber immerhin funktionierte ich wieder. Ob das seiner Fürsorge zu verdanken war, wußte ich nicht. Ich hatte den Faden des Romans, den ich im Frühjahrssemester begonnen hatte, wieder aufnehmen können und bei Madame Shouvaloff bis zu meiner Abreise nach Frankreich daran gearbeitet. Obwohl ich meine Olivetti im Gepäck hatte, schaffte ich wenig, solange ich mit George unterwegs war, ich machte mir nur Notizen und skizzierte ein paar Szenen. Da Archie MacLeish mich in seinen Kurs für Kreatives Schreiben aufgenommen und damit sozusagen zum Literaten-Gipfel zugelassen hatte, war ich erleichtert, daß ich mich nicht unmittelbar vor Kursbeginn wieder festgefahren hatte. Als ich Henry fragte, ob sein Sommer so gut ausgefallen sei, wie er gehofft hatte, lachte er mich an und sagte Ja; man habe ihm jede Woche einen freien Tag bewilligt, an dem er lange Wanderungen gemacht habe, manchmal mit seinem Freund Denis, der im August eine Zeitlang in Bayencourt gewesen sei. Er könne sich keine schönere Gegend denken als die Ardennen in der Umgebung des van Dammeschen Besitzes, mit den Wäldern, befestigten Bauernhöfen und winzigen Dörfern, wo man Rast machen und sich mit einem Bier und frischem Baguette mit Butter und Ardenner Schinken stärken konnte.
Das klingt gut, sagte ich, aber was ist mit deinem Liebesleben?
Er sagte, er sei nicht mehr so nervös wegen Madeleine – jedenfalls belaste Monsieur van Damme sein Gewissennicht mehr. Auf ihren Wanderungen sei Denis sehr gesprächig gewesen und habe ihm das Geheimnis der Harmonie in der Ehe seines Bruders und Madeleines erklärt: Sein Bruder habe eine Geliebte in Brüssel. Deren Ehemann, ein wichtiger Politiker, sowie Madeleine wüßten Bescheid; die beiden Paare verstünden sich sogar sehr gut, denn in der Affäre blieben Diskretion und Würde gewahrt. Eine Folge davon sei, wie Denis sagte, daß sein Bruder wenig von Madeleine forderte. Allenfalls gelegentlich mache er Gebrauch von seinen ehelichen Rechten; davon abgesehen habe sie vollkommene Freiheit.
Diese Eröffnungen machten mich nervös, sagte Henry. Ich fragte mich, ob er mir indirekt zu verstehen geben wollte, daß er über mich und seine Schwägerin Bescheid wußte. Um auf den Busch zu klopfen, fragte ich, ob Madeleine ebenfalls Affären habe. Er erwiderte, sie sei die verschlossenste aller Frauen. Es muß andere Männer geben, sagte er, denn lesbisch ist sie nicht, aber nichts deutet auf eine Affäre hin.
Und Margot? fragte ich.
Sie sei nicht in Bayencourt gewesen, obwohl Etienne, der jetzt im Pariser Familienunternehmen arbeitete, zweimal übers Wochenende gekommen war, ließ Henry mich wissen. Nach Madeleines Auskunft hielt sich Margot im Ferienhaus ihrer Eltern in Cap Ferrat auf, und Etienne wollte in seinen Augustferien bei ihr sein. Diese Nachricht mißfiel Madeleine, die hoffte, ihr Sohn würde über seine in Paris neu geknüpften Verbindungen eine Frau finden, die besser paßte. Henry sagte nichts über den Stand der Dinge zwischen ihm und Margot. Wahrscheinlich war er sich selbst nicht darüber im klaren; sie hatten seit dem Sommer auch keine Gelegenheit gehabt, einander zu sehen.
Auch wir
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