Eidernebel
den Folgen leben, die deine leichtsinnige Berichterstattung verursacht hat. Darf ich vorstellen, Jean-Claude Colditz, Chef der Mordermittlung und Hauptkommissar Jan Swensen.«
»Aber meine Herren, mit ein bisschen gutem Willen lässt sich jedes Problem lösen«, schwadroniert der Chefredakteur. »Kommen Sie in mein Büro und erzählen Sie, was Sie auf dem Herzen haben.«
»Die Frage lautet eher, was Sie auf dem Herzen haben«, kann sich Swensen nicht verkneifen. »Ich denke, Frau Teske hat die Sache hier verzapft, von daher hätte ich sie beim Gespräch gerne dabei.«
»Nicht nötig, ich kann zu jeder Thematik meiner Zeitung Stellung nehmen.«
»Theodor!«, bemerkt der Staatsanwalt scharf. »Ich erinnere dich nur ungern an eure Kampagne gegen meine Person im letzten Jahr. Bei mir ist dein Konto bereits überzogen.«
Swensen ist überrascht, dass er ungewohnte Schützenhilfe von Rebinger erhält. Aber wie sagte sein Meister immer: ›Es gibt nur eine Gewissheit, nämlich, dass sich alles stetig verändert.‹
Der Chefredakteur geht zur Tür und winkt Maria Teske in sein Büro. Die schleicht wortlos herein und setzt sich ohne Blickkontakt abseits in eine Ecke. Die Situation ist ihr sichtlich unangenehm.
»Das ist eine äußerst ernste Angelegenheit, Theodor. Deine Zeitung veröffentlicht ein Phantombild eines angeblichen Mörders, ohne die Exekutive von einem Zeugen in diesem ungeklärten Mordfall zu unterrichten. Mit anderen Worten: StGB § 274 Abs. 1, Beweismittelunterdrückung.«
»Ho, ho, ho, wir wollen doch nicht gleich mit Kanonen auf Spatzen schießen, Ulrich«, versucht der Chefredakteur zu beschwichtigen. »Das lässt sich doch alles in einem normalen Gespräch beilegen. Es handelt sich in diesem Fall sowieso um eine Zeugin, die ihr nicht annähernd akzeptieren würdet.«
»Du meinst, weil der Zeugin angeblich der Mörder im Traum erschienen sein soll?«, fragt Rebinger ironisch. »Das kannst du deinen Lesern erzählen, aber nicht uns. Wir wollen mit der Frau reden, sofort!«
»Sowie unsere Serie erschienen ist, sehe ich da kein Problem, Ulrich.«
»Ich fürchte, du hast mich nicht verstanden, Theodor. Ich sagte sofort!«
»Lass dir erst einmal den Sachverhalt erklären, Ulrich«, versucht der Chefredakteur den Staatsanwalt zu beruhigen. »Kannst du bitte diese geballte Exekutive aufklären, Maria!«
Alle Augen wandern zu der Journalistin hinüber. Die konzentriert sich darauf, nach außen ihren professionellen Anschein zu wahren. Innerlich gibt sie dem Rasen ihres Herzens nach.
»Alles ist nur ein Zufall, Herr Staatsanwalt. Die Zeugin habe ich im Laufe meiner Recherche über Herztransplantationen kennengelernt. In den Gesprächen mit ihr fand ich heraus, wann ihre OP stattgefunden hatte. Zu eben jener Zeit verstarb diese Frau, die in Reimersbude ermordet wurde. Ich hab nur eins und eins zusammengezählt. Es ist doch normal, dass ich bei den Träumen der Frau von einem bedrohlichen Mann hellhörig geworden bin.«
»Sie wollen allen Ernstes behaupten, die Zeugin hat überhaupt nichts gesehen, nichts beobachtet«, fragt Rebinger ungläubig. »Ihre Zeugin hat nur das Herz der Ermordeten erhalten?«
»Genau, so ist es.«
»Auf solch eine Tatsache baut eure Zeitung eine ganze Serie auf?« Die Stimme von Rebinger ist einige Oktaven höher geworden. »Ist das wirklich alles, was ihr habt, Theodor?«
»Das ist mehr als genug, Ulrich«, pariert Bigdowski. »Die Erinnerung der Zeugin beruht auf dem Zellgedächtnis, eine Art Quantenfluss auf zellulärer Ebene.«
»Erspare mir die Details deiner Pseudowissenschaft. Ich sehe zwar im Moment keine Möglichkeit einer Strafverfolgung, Theodor, aber ich rate dir dringend, diesen Unsinn so schnell als möglich zu beenden.«
»In einer ruhigen Minute denke ich vielleicht darüber nach, Ulrich.«
»Es gibt immerhin einen menschlichen Aspekt dabei, Herr Bigdowski, und der ist nicht unerheblich«, meldet sich Colditz aufgebracht. »Ihre Zeitung kann nicht nach Lust und Laune x-beliebige Phantombilder angeblicher Täter veröffentlichen. So etwas kann auch nach hinten losgehen. Die abgebildete Person existiert doch überhaupt nicht, das ist wenigstens meine Meinung. Unschuldige Menschen können dadurch verdächtigt werden, oder es kann womöglich noch Schlimmeres passieren. Wir haben gerade erst einen Fall von Selbstjustiz hinter uns.«
»Jetzt habe ich mit Mühe den Herrn Staatsanwalt beruhigt, schon malen Sie ein neues, völlig übertriebenes Szenario an die
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