Eidernebel
aus der Vorstandsetage von Libo ihn allerdings zu einem weit vorgezogenen Termin bestellt.
»Was gibt es dringendes, Herr Drenkhahn?«
»Eine heikle Geschichte, Herr Rösener, sehr heikel! Sie erfordert noch einmal mehr ihre höchste Diskretion. Wir würden uns nicht an Sie wenden, wenn die bisherige Zusammenarbeit mit Ihnen uns nicht so überzeugt hätte.«
»Ein zusätzlicher Auftrag? Spucken Sie schon aus!«
»Wir haben einen Tipp vom Chef unserer Gebietszentrale Schleswig-Holstein bekommen, dass es seit einer Woche eine reißerische Berichterstattung gegen unseren Konzern in der Husumer Rundschau gibt. Da werden Mordfälle in der Eiderstedter Region mit den Betriebsratsambitionen unser ermordeten Mitarbeiterinnen in einen Topf geworfen.«
»Hab ich auch gelesen, aber nicht besonders ernst genommen. Was die gebracht haben, sind meiner Meinung nach nur vage Spekulationen.«
»Dr. Kreienbaum und ich sehen das anders. Langfristig kann das unserem Konzern nachhaltig schaden. Wir möchten einen Hebel in die Hand bekommen, um eine weitere Kampagne dieser Zeitung im Keim zu ersticken.«
»Einen Hebel? Was kann ich schon tun, um das zu verhindern?«
»Herr Zernitz aus unserer Gebietszentrale hat angedeutet, dass alle Artikel aus einer Feder stammen. Es geht dabei um die Journalistin Maria Teske. Ich möchte möglichst viele Informationen über diese Frau, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Mit anderen Worten, Sie möchten wissen, mit wem diese Dame am Telefon so alles redet, oder?«
»Am liebsten, mit wem Frau Teske überhaupt redet, wer Sie zu Hause besucht, welche Kontakte Sie hat, an was für Themen Sie sonst noch arbeitet. Das volle Programm eben. Gibt es bei einer Überwachung dieser Art für Sie irgendein Problem, Herr Rösener?«
»Nein!«
»Sehr gut! Allerdings knüpfen wir einige Bedingungen an unseren Auftrag: Sie dürfen mit niemandem darüber reden, und wenn ich sage mit niemandem, dann meine ich auch mit niemandem. Und Sie müssen diese Arbeit unter allen Umständen allein durchziehen, es darf keiner Wind davon bekommen, um wen es in dieser Sache geht. Können Sie mir das garantieren?«
»Wie Sie es möchten, Herr Drenkhahn.«
»Am Telefon werden keine Namen erwähnt, verstanden! Alles, was Sie an Ergebnissen sammeln, geht nur an meine Person. Das Geld bekommen Sie in bar von mir persönlich, ohne Quittung. Okay?«
»Okay, Herr Drenk…«
»Keine Namen mehr, ab jetzt, klar!«
Sehr bizarr, diese Bedingungen, denkt Rösener, dem Peter Drenkhahn irgendwie anders als sonst vorgekommen war. Für einen kurzen Augenblick hatte er sogar den Eindruck gehabt, dass Kreienbaum von dem Auftrag überhaupt nichts wusste, verwarf den Gedanken aber später wieder.
Dieser ganze Typ ist durch und durch ein Untertan und kein frei denkender Mensch, schätzte er Drenkhahn letztendlich ein.
»Es ist der schöpferisch denkende Mensch, der in unserem elektronischen Kampf gegen den Westen die Hauptproduktivkraft ist«, fallen Rösener dazu die Worte seines Kumpels Rainer Rupp ein, während er grübelnd die Glühbirnen aus dem nächsten Deckenstrahler über dem Schreibtisch schraubt.
Mit Rainer Rupp, einem späteren Stasioffizier, war Rösener als Soldat zusammen auf einer Stube gewesen. Sie hatten damals bei der ›Diensteinheit des funkelektronischen Kampfes‹ auf dem mit neun Parabolspiegeln ausgestatteten Horchposten Biesenthal gedient.
Wenn der alte Rupp mich jetzt hier sehen könnte, der würde glatt vom Glauben abfallen!
Rainer Rupp hatte in der DDR eine Bilderbuchkarriere hingelegt, war als Hauptmann ganz oben in der damaligen MfS-Hauptabteilung III gelandet. Durch einen Zufall war Rösener seinem alten Kumpel vor drei Jahren bei einem Urlaub am Tegernsee auf der Straße begegnet. Nach der ersten Peinlichkeit hatten sie dann eine Tasse Kaffee zusammen getrunken. Rupp taute allmählich auf und es wurde ein wenig über die alten Zeiten geplaudert. Unter der Hand hatte er ihm dabei anvertraut, dass er bis zum Zusammenbruch unter anderem auch die Zielperson Nummer 1, Helmut Kohl, ausgehorcht hatte.
»Der Dicke war ein echter Profi«, hatte Rupp schwadroniert. »Der war vorsichtig, redete am Telefon nicht einfach drauflos und benutzte einen Sprachverschleierer.«
Der ehemalige Hauptmann erzählte, dass in der ›Wolfsschanze‹, wie man die Hauptverwaltung Aufklärung unter Markus Wolf nannte, alle völlig besessen von jedem gesprochenen Wort des Feindes gewesen waren. Im November 89 hatte
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