Eidernebel
Seefahrer!«
»Denke das Nicht-Denken!«
Swensen sitzt auf dem Beifahrersitz, sieht die Wolken ziehen und denkt darüber nach, wie er es anstellen kann, nicht zu denken. Ihm ist warm, er lässt das Seitenfenster einen Spalt herunterfahren und hält seine Stirn in den Fahrtwind. Am Horizont drehen sich die Windräder, während sie an der alten Mühle vorbeifahren, deren Flügel erstarrt wie ein bleiches Skelett dem ewigen Wind trotzen.
»Kannst du bitte das Fenster zumachen! Es zieht!«
Der Hauptkommissar fährt das Seitenfenster wieder nach oben.
»Warum fährst du über die Dörfer und nicht über die B 5?«
»Weil wir hier durch lebendige Geschichte fahren.«
»Sagt Leentje?«
»Diese einzigartige Landschaft hat nichts mit Leentje zu tun. Wusstest du, dass der erste Deich hier schon 987 gebaut wurde? Schutz für den Johanneskoog bei Poppenbüll.«
»Wusste ich!«, sagt Swensen unbeeindruckt und denkt: Endlich mal ein Thema, bei dem ich mithalten kann. »Deiche bauen war über Jahrhunderte eine Pflicht«, legt er los. »Auf Weigerung stand zeitweilig sogar die Todesstrafe. Aus der Zeit kommt der Spruch: ›Wer nicht will deichen, der muss weichen.‹«
»Herr Hauptkommissar, ich bin beeindruckt!«, lobt Mielke, als hätte er nur darauf gewartet, dem Gespräch diesen Verlauf zu geben. Bis sie Tönning erreicht haben, ist Swensen rundherum informiert, weiß, dass sich die ersten Menschen 2000 vor Christus hier angesiedelt haben, dass man geschliffene Beile aus Flint- und eine Axt aus Feldstein in den Strandwällen und Nehrungen zwischen Kirchspiel Ording und Katharinenheerd gefunden hat.
Erst als der Oberkommissar seinen Twingo vor dem Packhaus abstellt, verebbt sein Redefluss wieder. Swensen ist schlagartig angespannt, als wäre der Jagdinstinkt in ihm erwacht. Hinter der hölzernen Bogentür, irgendwo innerhalb des lang gestreckten Backsteinbaus am Hafenbecken sollen sie einen gewissen Caspar Esmarch finden. Der arbeitet in dem umgebauten Lagergebäude im Museum, hatte Peter Kirch ihnen mit einem großen Ehrenwort versichert. Und obwohl es ab September über den Winter geschlossen ist, kann man sich vorher anmelden und wird reingelassen. Mielke hatte Peter Kirch mit einem Hinweis auf sein blaues Auge klargemacht, dass er gnadenlos in den Knast wandert, wenn die Angaben zu ›Bötjer Basch‹ nicht stimmen würden.
»Jetzt schnappen wir uns diesen Kirchenmörder!«, prophezeit Mielke und klingelt an der Eingangstür.
»Stephan, das ist bereits der dritte Mörder, den du in den letzten Wochen zur Strecke bringen willst. Ich finde, wir reden erst einmal ganz ruhig mit dem Mann.«
»Wenn alles stimmt, hat der die Kirche in Witzwort ausgekundschaftet.«
»Stephan, bleib auf dem Teppich.«
»Dein buddhistisches Gehabe geht mir manchmal ganz schön auf den Senkel!«
»Lass mich das hier auf meine Art machen, Stephan«, bittet Swensen.
Mielke verzieht demonstrativ sein Gesicht. Dann geht die Tür auf und ein junger Mann mit Dreitagebart steht etwas unbeholfen vor ihnen.
»Sind Sie Herr Esmarch?«
»Sind Sie die Besucher, die sich für heute angemeldet haben?«
»Richtig! Kriminalpolizei Husum, Hauptkommissar Swensen und Oberkommissar Mielke.«
»Kriminalpolizei? Sie wollen das Museum besichtigen?«
»Wir wollen zu Herrn Esmarch. Sind Sie das nun, oder nicht?«
»Der bin ich. Was möchten sie denn?«
»Fragen, wie du zu dem Namen ›Bötjer Basch‹ gekommen bist?«, prescht Mielke vor.
»Darüber können Sie gar nichts wissen!«
»Wir können es, Freundchen!«
»Wo waren Sie am Abend des 21. Februar?«, fragt Swensen.
»Wir haben November. Wie soll ich das noch wissen?«
»Um Ihnen auf die Sprünge zu helfen, an dem Abend ist Biikebrennen. Da weiß jeder, wo er war.«
»Außerdem wurde an diesem Abend eine Frau in der Witzworter Kirche ermordet. An die Witzworter Kirche kannst du dich aber erinnern, oder?«
»Ich verstehe überhaupt nicht, was Sie von mir wollen.«
»Junge, du hast einen Cache an der Witzworter Kirche deponiert. Fällt der Groschen endlich?«
»Klar Mann, aber was soll das mit der ermordeten Frau?«
»Das spricht dafür, dass du krank bist! Entweder leitest du eine Schnitzeljagd über einen Tatort, an dem eine Frau ermordet wurde, oder du hast diese Frau auch gleich noch selbst ermordet. In beiden Fällen bist du krank, Bötjer Basch!«
*
Sie stürzt auf den Eingang zu und es sieht so aus, als würden die Glastüren vor ihr zur Seite flüchten. Die
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