Eidernebel
man die Frau und ihr Kind in die Untersuchungshaft nach Potsdam geschafft hatte. Es war ihm eine tiefe Genugtuung gewesen. Zwei Wochen zuvor hatte seine Freundin ihn verlassen und er hatte seine ganze Wut bei dieser Frau loswerden können.
Der BMW biegt auf den Parkplatz vor der Reithalle von Mildstedt und die Zielperson verschwindet kurze Zeit später in dem großen, lang gestreckten Wellblechschuppen. Rösener stellt seinen Wagen in der Nähe ab und hastet hinterher. Die Reitbahn ist von einer brusthohen Holzbalustrade umrahmt. Kleine Mädchen und Jungen hocken auf dem Rücken von Fjordpferden und Oldenburgern und werden von einem Angestellten der Reithalle im Kreis herumgeführt. Die Mütter sprechen ihren Kleinen Mut zu und die stolzen Väter schießen die Fotos dazu, eins nach dem anderen.
Seine Zielperson ist wie vom Erdboden verschluckt. Rösener will gerade innerlich fluchen, als er den Mann hinter den Tribünenfenstern wiederentdeckt. Er sitzt dort mit einer für ihn fremden Person zusammen. Rösener sprintet zur Toilette, steigt danach die Treppe in den ersten Stock hinauf, besorgt einen Kaffee am Tresen und platziert sich erleichtert drei Tische vom Observierten entfernt. Die Fensterfront bietet einen guten Ausblick auf die Schar der jungen Reiter in der Halle. Rösener winkt übertrieben nach unten, damit er den Anschein erweckt, als würde er ein Kind dabei haben. Nachdem er gecheckt hat, dass sein Mann ihn nicht weiter beachtet, schiebt er sein Resonanzröhren-Mikrofon zwischen eine Zeitung, die er in seiner Tasche mitgebracht hat, richtet es auf die beiden Personen, drückt unauffällig den Ohrenstöpsel ins Ohr und schaltet das Mitschnittgerät in der Tasche ein.
»Ich hab den ersten Versuchsballon beim russischen Generalkonsulat in Hamburg gestartet. Die haben mir unter der Hand zugesagt, dass sie sich für ein Einwanderungsgesuch von uns beiden auf höchster Ebene einsetzen würden«, spricht der Mann im Ohr. »Die Sache wird jetzt ernst, Karl. Ich möchte nicht, dass du im letzten Moment abspringst. Also ohne Umschweife, bist du jetzt dabei, oder nicht?«
»Bist du wirklich sicher, dass es am Ende nicht noch Probleme geben wird?«
»Ich sag dir, das geht alles klar, Mann! Hier ist übrigens das Anschreiben, das morgen rausgeht. Hör zu! Sehr geehrter Herr Bla-Bla-Bla, ich gehe davon aus, dass bei der russischen Industrie ein lebhaftes Interesse für modernste Fischbearbeitungsmaschinen von außergewöhnlicher Leistungsfähigkeit besteht. Wir sind zwei hoch qualifizierter Konstrukteure und würden uns freuen, wenn uns eine Genehmigung für einen dauerhaften Aufenthalt in Russland erteilt werden wird und wir eine Anstellung als Spezialkonstrukteure für Fischbearbeitungsmaschinen mit einem auskömmlichen Gehalt sowie prozentualer Gewinnbeteiligung in einer russischen Maschinenfabrik vermittelt bekommen. Im Gegenzug wird unser Know-how, welches für die russische Fisch- und Konservenindustrie einen unschätzbaren Fortschritt bedeuten würde, ihrem Staat zur Verfügung gestellt. Um die ganze Sache von unserer Seite glaubhaft zu machen, lege ich dem Schreiben einige Seiten der kopierten Konstruktionszeichnungen und Blaupausen von unserer Heringsentgrätungsmaschine vom Typ 745 bei. Ich versichere, dass sich die gesamten Pläne von fünf verschiedenen Maschinentypen in unserem Besitz befinden.«
Rösener triumphiert innerlich. Das ist der Durchbruch, denkt er, ab heute werde ich in einer anderen Liga mitspielen.
*
Die Sonne sackt glühend rot in den Dunst des Horizonts. Swensen steuert seinen Polo an der Schlange von parkenden Fahrzeugen vorbei, die sich am Innendeich aneinanderreihen, und parkt in eine der letzten Lücken ein. Kaum hat der Hauptkommissar die Wagentür geöffnet, schlägt ihm der eisig kalte Westwind entgegen. Er zieht seine Wollmütze tief über die Ohren, reibt sich kräftig die Hände und klappt den Mantelkragen hoch. Anna bleibt derweil demonstrativ auf ihrem Platz sitzen. Swensen braucht einen Moment, bis er es bemerkt, um die Kühlerhaube hastet und die Beifahrertür mit einer höflichen Handbewegung öffnet. Mit einem breiten »besten Dank, mein Lieber!« steigt die Psychologin aus und lächelt, was selbst eine Mona Lisa nicht geheimnisvoller hinbekommen hätte.
»Ich finde es sehr lobenswert, dass du doch noch vernünftig geworden bist«, sagt Anna mit ironischem Unterton in der Stimme.
»Was heißt denn hier vernünftig? Du hast schließlich schwere
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