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Eidernebel

Eidernebel

Titel: Eidernebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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soll gesagt haben, er wolle sich nur reinsetzen …, allein, in die Kirche. Wegen der Atmosphäre, sagte er. Ich hab nicht verstanden, was er damit gemeint haben könnte.«
    »Das heißt aber, Herr Thiel könnte die Tür offen gelassen haben?«
    »Keine Ahnung …, aber … die Tür war jedenfalls heute offen, als ich gekommen bin.«
    »Um welche Zeit sind sie denn gekommen, Frau Ahlefeld?«
    »Ich … bin kurz nach neun von zu Hause los. Das war so schrecklich! Diese Frau … vor dem Altar … einfach schrecklich. Ich weiß nicht mehr … kann mich nicht erinnern … an die Zeit erinnern.«
    »Danke, Frau Ahlefeld! Erholen Sie sich erst mal von diesem schrecklichen Anblick. Ich werde Sie nach Hause fahren lassen. Sie sollten sich vielleicht von einem Arzt anschauen lassen. Sie könnten einen Schock haben.«
    »Es geht schon wieder, Herr Kommissar.«
    »Nehmen Sie das nicht auf die leichte Schulter. Und danke für die Auskünfte.«
    Swensen gibt einem der Streifenbeamten den Auftrag, sich um die Frau zu kümmern. Der Polizeirat scheint nur darauf gewartet zu haben, dass der Hauptkommissar wieder ansprechbar ist. Mit schnellen Trippelschritten steuert er auf ihn zu und fuchtelt wild mit dem Armen.
    »Ich möchte endlich wissen, was es für Ergebnisse da drinnen gibt.«
    Als Püchel das fragende Gesicht von Swensen wahrnimmt, schaut er verlegen zur Seite. Er zieht noch einmal kräftig an dem Rest der Zigarette, wirft hektisch die Kippe zu Boden und tritt sie mit hin und her kreisender Fußspitze aus.
    »Ich muss da ja nicht auch noch mit rein. Die Bude ist mittlerweile sowieso brechend voll«, knurrt der Polizeirat mit unterschwelligem Trotz in der Stimme. »Colditz und einige seiner Flensburger sind in der Zwischenzeit alle drin. Der Fotograf ist auch schon da. Ich guck mir dann die Bilder an, das wird reichen.«
    »Du musst dich nicht verteidigen, wenn du dir diesen schlimmen Anblick ersparen willst, Heinz.«
    »Es ist nicht der Anblick«, laviert Püchel, »einer muss auch den Überblick behalten und auf das Wesentliche achten. Und, verdammte Scheiße noch mal, das Wesentliche ist, dass wir die Frau nicht retten konnten, obwohl sie zum Greifen nah hier irgendwo auf Eiderstedt war.«
    »Wir haben alles getan, was in unserer Macht stand!«
    »Das war nicht genug, Jan! Das war nicht genug! Du wirst merken, die Presse wird das genauso sehen.«
    »Mach doch mal einen Augenblick den Kopf frei«, kommentiert Swensen ärgerlich. »Fühl einfach, was passiert ist und halt nicht gleich nach dem nächsten Feind Ausschau. In so einem Fall werden wir zwangsläufig mit unserer Ohnmacht konfrontiert. Nenn mir einen Kollegen, der sich jetzt Gedanken um die Presse macht.«
    »Das ist die dritte Frau, die bei diesem Discounter einen Betriebsrat gründen wollte. Das kann kein Zufall sein. Ich bin hier immer noch der Verantwortliche. Und ich bin auch der Erste, dem man Versagen vorwerfen wird.«
    »Dann halt den Kopf gerade und schau dir die Dinge an, wie sie im Moment eben sind.«
    Püchel verstummt, zieht eine Zigarette aus der Schachtel, die er in der Hand hält, und zündet sie an. Feiner Nieselregen hat eingesetzt. Eine Gruppe Graugänse zieht in V-Formation über den Kirchturm in Richtung Süden davon. Die Flügel peitschen geräuschvoll die Luft und ihre schrillen Schreie stürzen bedrohlich vom Himmel herab. Quong, Ouong, ga, ga, ga!
     
    *
    In der Nacht hat es das erste Mal gefroren. Der ewig schlammige Boden unter dem Gras ist plötzlich hart wie Granit. Eine Herde Schafe drängt sich zu einem schmutzigen Wollknäuel vor dem Innendeich zusammen. Die Tiere starren kollektiv auf die seltsame Prozession von Menschen, die gerade die gegenüberliegende Wiese bevölkert und aus der im Moment Hauptkommissar Swensen hervorsticht. Er hat den Wind im Rücken, spürt wie der über den Jackenkragen hinweg nach nackter Haut sucht. Die rechte Hand hält die bleigefüllte Holzkugel am ausgestreckten Wurfarm seitlich in die Luft. Sein Körper ist in höchster Konzentration, wartet auf einen Impuls.
    Masse mal Geschwindigkeit zum Quadrat durch zwei, hört er seinen Physiklehrer plappern, während er bereits lossprintet, sich um die eigene Achse dreht, mit dem linken Fuß reflexartig gegen die Wurfrichtung tritt und die Kloot von hinten über die Schulter nach vorn schnellen lässt. Er legt den ganzen Ärger über die ungewollte Belehrung des Lehrers in die Bewegung und öffnet mit einem explosiven Schrei die Hand. Ihm ist, als würde die

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