Eidernebel
blonde Haar steht strähnig vom Kopf ab und dürfte schon länger keinen Kamm mehr gesehen haben. Die Augen blicken angstvoll auf die Münder der beiden Männer, deren Körperhaltung bereits das ganze Unheil ankündigt, das gleich, zwischen den Lippen heraus, auf ihn einschlagen wird.
»Sie … sie … ist tot?«
Jacobsen blickt verlegen auf den Boden. Swensen krampft sich der Magen zusammen, während er zaghaft nickt. Der Mann steht einen ewigen Moment regungslos in einer anderen Welt, dreht den Oberkörper schwerfällig zum Türrahmen und krallt seine Finger um das Holz. Langsam, wie in Zeitlupe, sackt er auf die Knie und stumme Tränen rollen die Wangen hinunter. Erst nach einer Weile quälen sich unverständliche Laute, die keinen Sinn ergeben, aus seinem tiefsten Inneren heraus.
»Wir kriegen dieses Schwein!«, bricht es aus Jacobsens Verlegenheit hervor. »Der kommt uns nicht ungeschoren davon!«
»Wo ist meine Frau?«, findet der Mann seine Worte wieder und schaut hilflos von Gesicht zu Gesicht. »Ich möchte zu meiner Frau! Ich möchte meine Frau sehen!«
»Das ist keine so gute Idee, Herr Ebsen«, versucht Jacobsen den Wunsch zu unterbinden. »Sie sollten damit besser noch …«
»Die Spurensicherung muss erst alle Untersuchungen abgeschlossen haben«, fällt Swensen Jacobsen ins Wort, damit das Gespräch nicht auf den Zustand der Leiche hinausläuft. »Es ist jetzt sehr wichtig alle Spuren sicherzustellen, die uns Aufschluss über den Täter geben können.«
»Wann … wann kann ich … meine Lene sehen?«
»Morgen früh wäre ein guter Zeitpunkt, Herr Ebsen«, sagt Swensen mit ruhiger Stimme. »Wir lassen Sie dann abholen und fahren Sie danach auch wieder hierher zurück. Haben Sie Freunde oder Bekannte, die Ihnen in dieser schweren Stunde zur Seite stehen können?«
»Ich schaff das schon.«
»Ich lasse Sie aber nur ungern hier ganz allein zurück, Herr Ebsen.«
»Ich muss eh alle benachrichtigen. Die werden mich schon nicht alleinlassen.«
»He leopt noch! He leopt noch!«
»Juuuhaaa!!!«
»Das war der Hammer!«
»Grandios, der Wurf von Volker!«, jubelt Claus Ovens und schlägt Swensen mit der flachen Hand auf die Schulter. »Und dann noch dieser riesige Trüll, das wird ein Schot!«
Der Hauptkommissar schreckt aus seinen Gedanken und muss offensichtlich unverständlich aus den Augen blicken.
»Mensch, Jan, Trüll nennen wir den Auslauf der Kugel!«
»Weiß ich doch! Ich bin kein Anfänger mehr!«
»Du sahst aber gerade nicht so aus, mein Lieber!«, lacht Ovens und wuchtet Swensen die Kloot in die Hand. »Wenn die nächsten beiden Tönninger geworfen haben, bist du wieder dran. Noch einen 88er, ist doch klar!«
Die schwere Kugel liegt in seiner Hand, als müsste er das Gewicht der Welt tragen. Seine Erinnerung liegt mit der gleichen Schwere auf seiner Seele, richtet den Blick zurück auf jenen Moment, indem er mit Jacobsen das Haus von Ebsen verlässt und Meister Rinpoche zu ihm spricht.
»Die Erde ist Schwere, das Samsara, der Kreislauf des Leidens. Der Himmel ist die Vision, das Nirwana, das frei ist von den Täuschungen der Welt. Gleichgewicht ist die Verbindung zwischen Samsara und Nirwana. Nur so kannst du das Leben bejahen, auch wenn die Umstände, in denen du lebst, unvollkommen sind.«
Das Überbringen einer Todesnachricht reißt Wunden in die Psyche, die noch Tage später schmerzen. An der Gartenpforte atmet Swensen tief durch. Der Regen prügelt auf seinen Kopf. Jacobsen ist schon auf dem Weg zum Wagen, als zwei Gestalten auf dem Bürgersteig heraneilen und suchend die Häuser inspizieren. Swensen erkennt die Frau sofort, obwohl sie eine gelbe Öljacke trägt und die Kapuze über den Kopf gezogen hat. Es ist Maria Teske von der Husumer Rundschau, die einen unbekannten jungen Mann mit Schirm in der einen und Kamera in der anderen Hand im Schlepptau hat. Die Journalistin stutzt, als sie Swensen bemerkt. Das Zusammentreffen ist ihr sichtlich unangenehm, denn sie fühlt sich selbst nicht gerade wohl bei dem Auftrag, den Think Big ihr aufgedrängt hat.
»Das soll jetzt nicht das werden, was ich gerade vermute?«, fragt der Hauptkommissar mit scharfer Stimme und stellt sich der Zeitungsfrau demonstrativ in den Weg.
»Ich bin nur hier, um meine Arbeit zu machen«, antwortet Maria Teske schnippisch.
»Sie wollen mir nicht allen Ernstes auftischen, dass Sie in so einem Moment den Mann eines Mordopfers interviewen wollen, gerade nachdem er die Nachricht vom Tod
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