Eidernebel
verläuft senkrecht den Körper hinab, durchtrennt den Nabel und endet am Schambein. Zerfetztes Gedärm hängt heraus. Am Körper klebt geronnenes Blut. Ein leicht kotiger Geruch liegt in der Luft. Swensen Blick sucht nach dem Gesicht der Toten, das auf den ersten Blick unversehrt aussieht. Er zieht ein kopiertes Foto aus der Vermisstenanzeige von Lena Ebsen aus der Brusttasche und erkennt sofort die Übereinstimmung.
»Das ist die letztlich tödliche Verletzung«, sagt Michael Lade, ohne sich umzudrehen, und deutet auf eine Stichwunde im Brustbereich. »Das muss einen hohen Blutverlust gegeben haben. Davon ist hier nichts zu sehen. Der Rest ist ein einziges Gemetzel. Da war die Frau aber mit Sicherheit schon tot. Gleich danach muss sie hier hergeschafft worden sein.«
»Schon länger tot?«
»Mindestens vier Stunden, in Kaumuskeln, Hals und Nacken ist schon Totenstarre nachweisbar.«
»Kannst du mir auch sagen, wer so etwas macht?«, fragt Swensen mit leiser Stimme.
»Das kann dir nur dieser Wahnsinnige persönlich beantworten. Ruf ihn doch einfach mal an«, scherzt Michael Lade, dreht sich grinsend um und sieht, dass der Hauptkommissar die Frage bitter ernst gemeint hat. Augenblicklich versteinert sein Gesicht. »Lass die Scheiße nur nicht zu dicht an dich ran, Jan. Ihr seid Kriminalbeamte, für euren Berufsstand sieht es eben immer so aus, als wenn das Böse euch einen Schritt voraus ist.«
»Danke, Doc, aber ich hab schon eine Psychologin daheim«, wehrt Swensen ab, weiß aber, dass Lade nicht so falsch liegt.
»Wir hätten es gerne, dass dieses ›Böse‹ und ›Übelriechende‹ in unserem Selbst und unserer Welt nicht wirklich vorhanden wäre«, mahnt Lama Rinpoche. »Alle Menschen erleben diese Negativität. In ihr steht eine grundlegende Aggression, die alle Dinge anders haben will, als sie sind. Wir klammern uns an dieses Zerrbild, wir verteidigen es, wir greifen an, und alles wird vom Gefühl des eigenen Elends durchdrungen. Dies ist Negativität, so geben wir der Welt die Schuld für unseren eigenen Schmerz.«
»Und wie machst du das, Doc?«, fragt Swensen. »Immerhin musst du einen sinnlos gequälten Menschen untersuchen.«
»Ich konzentriere mich auf die Ergebnisse für euch. Warum man den Körper gequält hat, fällt in euren Aufgabenbereich«, antwortet Michael Lade und packt seine Utensilientasche zusammen.
»Du hast ja recht, Doc, aber vielleicht erfahren wir das Warum nie«, stellt Swensen fest und geht mit dem Doktor auf den Ausgang zu. Zwei Männer der Spurensicherung rollen die Vliesmatte im Mittelgang zusammen, sie müssen sich an ihnen vorbeidrücken.
»Bis zum nächsten Mal«, sagt Lade vor der Tür, geht weiter zu seinem Wagen und ruft vom Parkplatz herüber: »Kann mal einer von euch den Dienstwagen zur Seite fahren?«
»Ich möchte kurz mit unserer Zeugin reden«, sagt Swensen. »Übernimmst du das bitte!« Er wirft Jacobsen den Wagenschlüssel rüber und entdeckt die junge Frau in einen Anorak gepackt auf einer Bank an der Kirchenwand. Mit einer Kopfbewegung gibt er dem Streifenbeamten zu verstehen, ihn mit der Zeugin allein zu lassen.
»Ich bin Hauptkommissar Swensen. Sie haben die Frau gefunden? Sind Sie schon in der Lage, mir einige Fragen zu beantworten, Frau … Wie ist ihr Name?«
»Rita Ahlefeld.«
»Also, geht es schon Frau Ahlefeld?«
»Was … was möchten Sie wissen …, Herr Kommissar?«
»Zum Beispiel, wieso Sie um dieser Zeit in der Kirche waren, Frau Ahlefeld?«
»Ich bin … arbeite im Kirchenvorstand mit …, diesen Monat … ich bin diesen Monat für die Kirche zuständig. Die ist ab Oktober … den Winter über … ist die geschlossen … kein Gottesdienst. Ich sehe nur nach dem Rechten.«
»Dann haben nur Sie Zugang zu dem Schlüssel für die Kirchentür?«
»Der hängt im Pastorat. Da … da können auch … da können alle ran. Aber … aber die Tür war gar nicht abgeschlossen.«
»Wissen Sie warum?«
»Nein … aber der Schlüssel … den kann jeder kriegen, im Pastorat, der unbedingt … also, wenn man die Kirche besichtigen möchte.«
»Gibt es eine Liste, wie viel Personen den Schlüssel geholt haben?«
»Ja …, aber … ob jemand … um diese Jahreszeit kommt eigentlich keiner. Nur … nur Herr Thiel hat den Schlüssel geholt …, vor zwei Wochen … glaub ich. Herr Thiel ist Organist. Ich … ich hab mich noch gewundert, weil unsere kleine Kirche ja gar keine Orgel hat.«
»Wissen Sie denn, warum Herr Thiel da war?«
»Er
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