Eidernebel
der dieses verräterische Geschlecht in Angst und Panik ersticken lässt. Und obwohl Gott ja immer bei ihr gewesen sein soll, hat der verlorene Sohn sie dennoch verschnürt, zu einen nutzlosem Bündel. Er allein hat die Macht über diesen Abschaum. Er allein ist der Mensch, der dieses nichtsnutzige Etwas beherrscht. Er allein wird darüber bestimmen, wann eins dieser Gotteskinder den letzten Atemzug auf dieser Welt nehmen darf. Und der Allmächtige, der alles mit ansieht, darf ohnmächtig zuschauen, wenn die Zeit gekommen ist.
Wie gut, dass dieses Geschlecht Satan völlig unterschätzt, nicht in der Lage ist, ihn zu erkennen, wenn er anbietet, es in seinem Wagen mitzunehmen. Satan ist eben charmant, freundlich und überaus zuvorkommend, solange er sich außerhalb seiner Höllenkreise bewegt. Im Moment ist er beispielsweise als Gewerkschafter unterwegs, kennt sich offensichtlich aus mit dem Unrecht in der Welt, bietet loyal seine Solidarität und Hilfe an.
»Ich kann dich doch duzen, oder? Wir kämpfen schließlich an derselben Front. Du kannst mich jederzeit anrufen, wegen dieser Betriebsratssache. Ich sage dir, wie man das macht.«
Satan sieht alles, sieht sofort, dass sie für die Jahreszeit viel zu leicht bekleidet ist und leicht fröstelt. Und Satan hat immer alles dabei, zum Beispiel eine silberne Thermoskanne mit heißem Tee, eine Porzellantasse, in die er das Getränkt gießt.
Und Satan spricht mit Überzeugung: »Mensch Mädchen, komm nimm einen Schluck, dann wird dir warm.«
Und Satan sieht sie trinken und weiß, dass er eine Seele gewonnen hat, eine Seele die nichts mehr sagen kann und alles macht, was Satan ihr sagt.
Konsequent, konsequent!, brüllte es in seinem Kopf, als würde Gott auf seinen Gehirnwindungen wie auf einer Orgel spielen. Du bist tot! Tot! Tot!
Er nimmt seinen Zettel, schiebt ihn vorsichtig, einer unersetzbaren Kostbarkeit gleich, in eine Klarsichthülle und legt diese in einen Ordner, von denen mehrere in dem Blechschrank neben seinem Schreibtisch stehen. Danach geht er in die Küche, zieht die Schublade im Küchentisch auf. Dort liegt das Messer. Seine Fingerkuppen fahren sanft über das harte Metall. Während die Finger entschlossen den Griff packen, brandet vor seinen Augen ein blutrotes Meer auf, das Welle für Welle über die weiße Haut des Ufers schäumt. Dantes Hölle ist erwacht, ihn ihm erwacht.
Laut brüllend, wie das Meer im Sturme tut,
Wenn Widerwind, die Wogen peitschend, sauset.
Die höllische Windbraut treibt, die nimmer ruht,
Die Geister um, es quält sie ohn Erlahmen.
Satan dreht den Schlüssel im Schloss, so leise er kann, zieht den Riegel auf und öffnet die Tür einen Spalt. Das schummrige Licht verwischt die Gegenstände im Raum. Der Holzstuhl steht an der Wand, als wäre er aus durchscheinendem Pergament gedrechselt.
Leer! Er ist leer! Er … er ist leer!
Die Lederbänder für die Hände liegen wie junge Schlangen am Boden. Das Messer gleitet aus seiner Hand, fällt zu Boden. Schatten flimmern vor seinen Augen. Er sieht sich schneiden. Hört röchelnde Laute. Er sieht sich stechen. Entsetzte Augen, den aufklaffenden Bauch, seine blutigen Hände, die zwischen die bläulichen Därme gleiten.
Der Raum ist leer, Satan, der Mord ist bereits begangen!
Es ist nur meine Fantasie, die alles so lässt, als wäre noch nichts geschehen, denkt er und erinnert sich vage, die Tür im Laufe des Tages schon öfter geöffnet zu haben. Doch sowie er die Tür wieder hinter sich geschlossen hatte, kehrte diese tiefe Mordlust zurück, gaukelte ihm vor, er könne die Tat ewig wiederholen, wenn er nur erneut den Raum betreten würde.
Doch der Stuhl ist leer, leer, leer. Er bleibt leer.
Satan hat seine Tat fortgeschafft, sie vor das Angesicht Gottes gebracht. Dort vor dem Altar seiner Allmacht spottet sie jetzt seiner allumfassenden Liebe, aus der er Satan einst hinabgeworfen hat, aus seinem Himmel.
Er kennt kein Erbarmen. Am nächsten Wochenende wird er wieder seine Fantasien mit in die große Stadt nehmen, ins Gomorrha der anonymen Häuserreihen, wo kein Sünder den anderen kennt, auch wenn sie sich täglich über den Weg laufen. Dort hat er sich bereits angekündigt, will als Anfänger einen Tanzkursus beginnen. Er wird sich das Tanzen lehren lassen, bis die tödliche Lava in ihm zu kochen beginnt. Er wird tanzen, die Tänze der feinen Gesellschaft, ganz klassisch. Er wird auf dem Vulkan tanzen, bis er ausbricht und alles verbrennt.
*
Trüber
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