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Eidernebel

Eidernebel

Titel: Eidernebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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in Reimersbude aus dem Nebel vor ihr aufgetaucht war, steht plötzlich wieder vor ihrem inneren Auge. Die tief liegenden Augen unter den geschwungenen Augenbrauen bohren sich hart und kalt in die ihren. Sie sieht die hohe Stirn, das blonde, gekräuselte Haar, das ohne Scheitel nach hinten gekämmt ist. Die angewachsenen Ohrläppchen, den weichen Mund mit den fein gezeichneten Lippen, die nach unten zeigenden Mundwinkel. Das rundliche Kinn, die schmale nach außen gewölbte Nase. Die blasse, porige Haut seines jugendlichen Gesichts, auf das einige Sommersprossen gesprenkelt sind. Ihr Albtraum hat sie fest im Griff, das Trugbild ist zum Greifen real, als würde es jeden Moment mit ihr sprechen.
    »Lisa Blau.«
    »Lisa Blau!«
    »Lisa Blau, es hat lange gedauert, aber ich habe dich gefunden.«
    Lisa Blau spürt wie der feine Druck der Schallwellen ihre Nackenhaut erreicht, ein elektromagnetisches Feld erzeugt, das ihre Härchen aufrichtet. Gleichzeitig rast eine Gänsehaut den Rücken hinab.
    Ein Trugbild kann nicht zu dir sprechen, denkt es in ihr, während ein Todesschreck ihrem Körper die Energie entzieht und sie bewegungslos erstarren lässt. Ihre Augen weiten sich. Das Trugbild im Spiegel schaut über ihre Schulter, legt seine Hände um ihren Hals und drückt zu. Ihr Herz hämmert wie ein Motor auf Hochtouren, die Sinne schwinden unaufhaltsam, das Bewusstsein verliert sich im Nichts. Sie bemerkt noch, dass sie in sich zusammensinkt und auf den Boden fällt.
    Dann ist sie nicht mehr bei sich.
    Die Anfangsoktaven der Toccata d-moll reißen Lisa Blau in ihr Bewusstsein zurück. Die sakrale Orgelmusik dröhnt durch den Tanzsaal. Es sind die Töne, die sie aus ihren Träumen kennt. Um sie herum ist es menschenleer und die Deckenlampen sind ausgeschaltet, nur durch die kleinen Fenster fällt das flackernde Licht der Neonröhren aus dem Hinterhof. Erneut wird sie von Panik erfasst, sie will fliehen, doch sie sitzt fest auf einem Stuhl, bewegungsunfähig. Ihre Handgelenke sind hinter der Stuhllehne mit Klebeband zusammengebunden, die Fußgelenke mit den Vorderbeinen des Stuhls verschnürt. Pullover und Kleid sind von oben bis zur Scham aufgeschnitten, die helle Haut ihres nackten Körpers mit den OP-Narben der Herztransplantation schimmert im rötlichen Schein des Flackerlichts. Vor ihr auf dem Boden liegt ihr Höschen, darauf eine große Tarotkarte mit einem roten Herzen, das von drei Schwertern durchbohrt ist. Im Hintergrund regnet es aus dunklen Wolken. Bei dem Anblick laufen ihr Tränen die Wangen hinab. Sie realisiert, dass ihr etwas Ungeheuerliches passiert ist. Ihre gefesselten Hände fühlen sich eiskalt an. Sie möchte schreien, aber auch ihr Mund ist mit Klebeband verschlossen. Es gibt kein Entrinnen, der Mann aus ihren Träumen, der ihre Herzspenderin ermordet hat, ist wirklich und leibhaftig geworden, hat ihr aufgelauert, sie überfallen, die Kleidung aufgeschnitten und sie entwürdigt auf diesem Stuhl zurückgelassen. Doch er wird noch irgendwo sein, nicht weit von ihr entfernt und ihrem Leid heimlich zusehen. Sie versucht den Kopf zu drehen, aber selbst ihr Hals ist mit Klebeband an der Stuhllehne fixiert, sodass keine Bewegung möglich ist.
    Vielleicht ist er hinter mir, ist einer der Gedanken, der sie quält und kalten Angstschweiß erzeugt.
    Die Tarotkarte könnte aus meinem Kartenspiel sein. Das ist meine Tarotkarte, genau, das ist meine! Dann wäre der Mann in meiner Wohnung gewesen! Nein, das kann nicht sein. Oder doch, er ist ja auch hier.
    Das Orgelstück von Bach geht dem Ende entgegen. Das Klicken des CD-Players verrät ihr, dass der Mann hinter ihr im Raum ist.
     
    »Das ist deine Karte, Lisa Blau, erkennst du sie? Ich habe sie in deiner Wohnung gefunden. Schade nur, dass du mir nicht verraten kannst, was sie bedeutet. Aber ich habe entschieden, sie passt gut zu unserem ersten Zusammentreffen, das leider auch unser letztes sein wird. Ich habe ein Bild gesehen, ein Bild von mir. Es war in der Zeitung und sie haben dazu geschrieben, dass es dein Herz war, das dir mein Gesicht verraten hat. Dabei sollte dein Herz schon lange tot sein. Es gehört dir nämlich nicht! Ich bin hier, um es mir erneut zu holen. Diesmal wird Gott dieses verräterische Herz nicht schützen, denn ich bin noch stärker geworden.«
     
    Lisa Blau spürt, dass der Mann in diesem Augenblick direkt hinter ihr steht, sie kann seine Körperenergie fühlen. Ein Messer gleitet in Augenhöhe in ihr Blickfeld, auf der blanken Klinge

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