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Eidernebel

Eidernebel

Titel: Eidernebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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in den Griff bekommen hatte, ließ er sich nach Husum versetzen, zurück in seine Geburtsstadt. Er wollte Abstand haben, raus aus dem kriminellen Wahnsinn einer Großstadt, und er wollte Anna wiedersehen. Kurz danach waren sie ein Paar geworden.
     
    Handelnde können ihrem Schicksal nicht entfliehen, denkt der Hauptkommissar, während er mit Panik im Nacken aus der Kirche eilt. Die kalte Nacht holt ihn in die Wirklichkeit zurück. Die Angst, dass sich die alten Bilder von früher noch einmal in seinem Kopf festsetzen könnten, bleibt. In der Ferne hört er ein Martinshorn näherkommen. Er hastet den Weg hinunter, hofft, dass die bekannten Gesichter der Kollegen diesen Spuk vertreiben können.
    Das Spiel ist aus. Der Satz ist plötzlich in seinem Kopf. Sartre …, das mit dem Entfliehen ist von Sartre, aus dem Buch: Das Spiel ist aus.

Februar 2003
    Der Vater war nur beim Herrn, stand in seinem Licht und holte die Finsternis ins Haus, die neue Mutter, das Ungeheuer, das Dogma seiner Seele. Sie konnte den Sohn mit ihren Augen vernichten, mit ihrem Blick in ihn eindringen, alle Schutzzellen sprengen. Elende Mutter, in deinen großen Augen leuchtete die Abgründigkeit, du Unheimliche. Mit deinem eiskalten Blick hast du alles vernichtet, damit hast du auch den Sohn vernichtet. Das Übel, dein überbordender Willen, implodierte in deiner Kontrollsucht, mit der du den Sohn verfolgtest bis in sein Zimmer, bis in jeden Winkel. Dort wo du auf ihn eingeschlagen mit der Sprachwut deiner Macht, wo du im Irrealis deiner Anklagen, immer schneller, effektiver und präziser das Leid der Welt auf die Schultern des Sohnes legtest.
    Deine Augen sind noch immer in ihm, schleichen durch seine Blutbahnen, sind die Spione seines Denkens, wollen wissen, was er weiß, das Geheimnis deiner schändlichen Taten in ihm finden. Du willst den Sohn von innen heraus verschlucken, ihn in das Loch zurückrutschen lassen, damit der Sohn mit seiner Wahrheit darin verschwindet, die nur er kennt, nicht einmal du.
    Mutter, du bist immer auf der Hut. Das ist deine Stärke, das ist deine vernichtende Logik. Du hältst den Sohn als Gefangenen an seinem selbst geschaffenen Angstort, einer grenzenlosen Wüste, die dem Sohn ihre Wirklichkeit erbarmungslos vor Augen führt. Die Wirklichkeit des ewigen Leidens und seiner möglichen Vernichtung. Bis dahin muss der Sohn sich um seine eigenen Strategien kümmern, damit er deine Existenz in sich auflösen kann, sich selbst etwas ausdenken kann.
    Wer denkt braucht nicht zu fühlen.
    Denken ist die Wirklichkeit.
    Fühlen ist der Tod.
    Aber das Denken duldete keine Öffentlichkeit. Überall lauerte sie, deine Muttermacht.
    Mutter, die Strategin ihrer eigenen Gerechtigkeit, die jederzeit ihre Meinung im Sohn positionieren kann. Die ihre Weisheiten in ihm versenkt, für immer. Mutter ist die Gegenwart von Druck und Unterdrückung. Der Sohn will aus ihrer Haut, das Mutter-Ich, die Muttertotalität aus sich herauskratzen, bis auf das nackte Fleisch und tiefer, Mutterschicht für Mutterschicht.
    »Denken sind keine Lichter und Arschlöcher keine Gesichter!«
    »Kinder mit ’nem Will’n, kriegen was auf die Brill’n!«
    »Der Rohrstock liegt oben auf dem Küchenschrank, vergiss das nicht!«
    »Noch so ’n Widerwort, und ich hau dir eins auf dein gottloses Maul!«
    Der Sohn hatte keine Chance, sich ihrer Eloquenz zu entziehen, war nie ungestört, ohne Irritation, Verunsicherung, Ungenügen und Schuld. Mutter war immer da, die allgegenwärtige Infragestellung seiner Existenz. Er schien sich nicht selbst zu gehören, sein Können wurde nicht gesehen. Die Welt hatte die Augen vor ihm geschlossen. In seinem Herzen waren nur die Augen der Mutter.
    Der Sohn will nicht mehr unfertig sein, will nicht mehr ausgeschlossen in der Wüste verdursten. Der Sohn will raus aus dem ewigen Diskurs seiner Legitimation, der Sohn will über die Stränge schlagen, der Sohn will sich austoben, den Zorn in eine Form geben, das Mutterwerk anhalten, das unentwegt in ihm tickt, ihn stillstehen lässt in der Zeit.
    Der Sohn braucht ein Gesetz der Möglichkeitsermächtigung. Er will es der Mutter beweisen, dass er sich aus ihrem verborgenen Drahtgeflecht herauswinden kann. In ihm steckt ein monolithischer Wahn, der will sich durch eigene Werke unverrückbar in der Welt festsetzen. Nur ein eigenes Werk könnte im Sohn den erlittenen Verlust kompensieren. Er brauchte seine Befreiung, seine große Tat.
    Ab heute schreibt der Sohn seine eigenen Geschichten,

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