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Eidernebel

Eidernebel

Titel: Eidernebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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außerordentlichen Raumgefühls machen, ihr begreift die jeweilige Situation aus sich selbst heraus. Dann seid ihr einfach da, als würdet ihr in der Versenkung sitzen. In dem Moment ist weder der Atem noch irgendeine andere Technik wichtig. Ihr werdet in etwas angekommen sein, ohne Übersetzer und Beobachter. Dann wird die Sprache richtig verstanden.«
     
    »Im 12. Jahrhundert soll die Halbinsel ein seltsames Gebilde aus Strandwällen, Marschflächen und Nehrungsstreifen gewesen sein, aus denen erst langsam ein Dreilandenkoog entstand ist, Utholm, Everschop und Eiderstedt«, startet der Oberkommissar erneut, als er auf den Parkplatz vor der Osterhever Kirche fährt und den Wagen parkt. »1103 wurde schon die erste Kirche in Tating gebaut und erst 1613 ist aus den drei Teilen die heutige Halbinsel geworden.«
    Die beiden Kriminalisten steigen aus und gehen den bemoosten Fliesenweg zur Warft hinauf, auf der die Kirche steht. Vor der graublauen Eingangstür wartet eine füllige Person, mit der sie wahrscheinlich verabredet sind, Pastor Kleuker.
    »Osterhever wurde übrigens 1113 erbaut«, bemerkt Mielke, als sie beinah oben angekommen sind.
    »Wie, dann wäre dieses Gebäude ja bald 900 Jahre alt?«, sagt Swensen und schaut ungläubig zum Glockenturm hoch.
    »So alt ist die jetzige Kirche nun doch nicht«, korrigiert der Mann, der den Beamten entgegenkommt. »Sie sind die Herren von der Polizei? Ich bin Pastor Kleuker.«
    »Hauptkommissar Jan Swensen!«
    »Oberkommissar Stephan Mielke! Ich hab aber gelesen, dass die Kirche 1113 erbaut wurde.«
    »Da ist von der Osterhever Urkirche die Rede. Ihr Bau wurde sogar vor der ersten ›Groten Manstränke‹ 1362 noch erweitert, ist danach aber wahrscheinlich bei der Sturmflut untergegangen. Das war eine Katastrophe von historischem Ausmaß, im ›Chronicon Eiderostaense vulgare‹ wird von 100.000 Toten berichtet.«
    »Dann ist aus der romanischen Epoche nichts mehr vorhanden?«, fragt Mielke und wirft seinem Kollegen einen triumphierenden Blick zu.
    »Doch, das Portal und zwei kleine Fenster in der Nordwand«, klärt der Pastor auf. »Kennen Sie eigentlich das Schmuckstück unserer Kirche, den Christus bei der Rast?«
    Mielke schüttelt den Kopf, während der Mordermittlung vor fast zwei Monaten hatte er keinen Blick für Details der Inneneinrichtung gehabt.
    Mit einem »Das müssen Sie sich jetzt aber unbedingt anschauen« zieht der Kirchenmann die schwere Tür auf. Er führt die beiden Beamten an den Kirchenbänken vorbei, bis vor den blau grundierten Schnitzaltar.
    »Oben rechts zeigt das Werk Christus vor Pilatus und darunter, das ist einmalig auf Eiderstedt, den Heiland bei der Rast sitzend auf dem Kreuz. Und sehen Sie sich mal die Kriegsknechte an. Im Laufe der Jahre wurden die kleinen Holzwaffen, die sie in Händen hielten, leider gestohlen. Für mich ein symbolisches Zeichen für die friedensstiftende Kraft unseres Herrn Jesu.«
    »Der Glauben kennt keine Grenzen«, flüstert Swensen mit ruhiger Stimme in Mielkes Ohr. »Aber wir ermitteln nicht wegen gestohlener Spielzeugwaffen. Wir sollten langsam damit beginnen zwei Morde aufzuklären, Stephan.«
    »Ist ja gut, ist ja gut, es hält dich doch niemand davon ab.«
    »Meditation ist eine 24 Stunden währende Aufgabe«, redet die innere Stimme dem Hauptkommissar ins Gewissen. Er atmet tief durch und zieht das Phantomfoto, welches sie mithilfe des Milchlasterfahrers Albert Pahl anfertigen ließen, aus der Jackentasche.
    »Haben Sie diesen Mann schon einmal gesehen, Pastor Kleuker?«, fragt er, indem er dem Kirchenmann das Foto unter die Nase hält. Der nimmt es in die Hand und schaut es sorgfältig an.
    »Kann mich nicht erinnern, das Gesicht schon einmal gesehen zu haben. Soll das der fehlgeleitete Sohn sein?«
    »Das können wir nicht sagen, Herr Pastor. Die Identität der Person ist uns nicht bekannt.«
    »Der Mann wurde gesehen, als er vor Kurzem in merkwürdiger Weise um die Kirche in Witzwort geschlichen ist«, ergänzt der Oberkommissar.
    »In merkwürdiger Weise?«, grübelt der Pastor. »Wie soll ich das verstehen?«
    »Es gibt einen Zeugen. Der fand das Verhalten des Mannes merkwürdig«, erläutert Swensen. »Das ist natürlich eine subjektive Einschätzung. Aber es ist nicht ungewöhnlich, dass bestimmte Tätertypen an den Tatort zurückkehren. Wir möchten nur überprüfen, ob dass in Osterhever der Fall gewesen sein kann.«
    »Ich habe diesbezüglich nichts gesehen. Aber ich bin natürlich nicht jeden Tag

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