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Eidernebel

Eidernebel

Titel: Eidernebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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verlieren.
     
    Ich existiere, weil jemand meiner Retterin Gewalt angetan hat, hämmert ein Gedanke in ihrem Kopf. Ich wurde gerettet und bin gleichzeitig zum Opfer geworden? Wie soll ich nur mit ihrem Herzen leben lernen?
     
    Maria Teske ist nicht entgangen, dass Lisa Blau plötzlich tief in sich versunken dasitzt. Sie ist bestürzt, was ihre Nachricht offensichtlich angerichtet hat, und fühlt sich mit einem Mal richtig hilflos, sucht nach tröstenden Worten, doch die sind ihr genauso abhandengekommen. Die Situation ist in einer Schwere erstarrt, erst die Stimme der Bedienung wirkt wie ein frischer Wind: »Die Cola, bitte!«
    Lisa Blau schreckt aus ihren Gedanken, greift nach dem Glas und schüttet das dunkelbraune Getränk hastig in sich hinein. Die Kohlensäure explodiert wie eine Erkenntnis in ihrem Magen, während sich die Bedienung mit klackenden Absätzen wieder entfernt.
    »Was soll ich nur machen?«, fragt sie ein körperloses Gegenüber.
    Maria Teske ahnt, dass sie nicht gemeint ist, antwortet aber trotzdem: »Was wollen Sie denn jetzt tun, Frau Blau?«
    »In den letzten Jahren hatte ich häufiger das Gefühl, dass die Transplantation nicht wirklich stattgefunden hat«, gesteht die Frau, ohne auf die Frage der Journalistin zu reagieren. »Die ganze Operation war so weit von meiner Normalität entfernt, dass ich die Sache wahrscheinlich manchmal einfach nur verdrängt habe. Es war für mich eben viel einfacher, es als ein mystisches Geschehen hinzunehmen, als mich der Wirklichkeit zu stellen. Das Herz war irgendwie auch immer nur eine Fiktion, wie die namenlose Person, die für mich ja nie greifbar war. Und jetzt, wie aus dem Nichts, gibt es einen realen Menschen mit einem Namen, einen Namen, den mir meine Traumgestalt schon lange im Voraus gesagt hat. Ich habe es also wirklich erfahren. Es war nicht nur Fantasie, ich hab mir das nicht nur alles eingebildet.«
    Die Journalistin nimmt eine Zeitung aus ihrer Handtasche und legt sie aufgeschlagen auf den Tisch. Unter der Überschrift ›Brutaler Mord an der Eider‹ prangt das Foto einer lächelnden, jungen Frau.
    »Ist sie das, ist das Marion Döscher?«
    Maria Teske nickt und sagt mit ruhiger Stimme: »Ich weiß natürlich auch etwas über die Familie Ihrer Spenderin. Wollen Sie den Wohnort und die Adresse der Eltern wissen?«
    »Ich …«, Lisa Blau schaut zögerlich, »ich … weiß es nicht, jedenfalls im Moment nicht. Ich wollte immer alles wissen, aber jetzt spüre ich eine riesige Angst und muss erst einmal nachdenken. Was würden Sie an meiner Stelle machen, Frau Teske?«
    »Ich würde mir einfach Zeit lassen, Frau Blau. Überlegen Sie sich alles in Ruhe. Sie haben meine Telefonnummer. Rufen Sie mich an, wenn Sie sich entschieden haben.«
    »Kann ich die Zeitung behalten?«, fragt die Tanzlehrerin mit feuchten Augen. Die Journalistin nickt knapp und ergreift vorsichtig ihre Hand.
    »Um eines würde ich Sie bitten«, sagt Maria Teske nach einiger Zeit. »Falls Ihre Entscheidung positiv ausfällt, kann ich Ihnen meine Hilfe anbieten. Ich kenne zufällig den Gemeindepfarrer, dem die Familie ihrer Spenderin bekannt ist. Der könnte im Vorfeld Kontakt mit den Angehörigen aufnehmen und fragen, ob sie überhaupt an einem Treffen interessiert wären. Ihre Tochter ist immerhin ermordet worden. Das ist eine schreckliche Voraussetzung.«
    »Auch für mich, Frau Teske, auch für mich«, seufzt Lisa Blau. Ihr ist, als hätte die Nachricht ihr den Boden unter den Füßen weggezogen. Das makellose Bild ihrer Spenderin hat tiefe Risse bekommen. Wie betäubt drehen sich ihre Gedanken um diese nicht mehr umkehrbare Tatsache.
    »Eine Frage hätte ich noch, Frau Teske, könnten Sie sich vorstellen, mich eventuell bei einem Treffen mit der Familie zu begleiten?«
    »Natürlich, Frau Blau, das würde ich gerne tun. Aber jetzt muss ich leider los. Wir hören voneinander. Auf Wiedersehen!«
    »Auf Wiedersehen«, sagt die Tanzlehrerin leise, schaut der Journalistin hinterher, sieht wie sie die Rechnung bezahlt und mit einem Wink das Café verlässt. Lisa Blau zieht die Zeitung zu sich heran und liest.
    ›Die Indologie-Studentin Marion D. aus Hamburg, die vor vier Tagen an der Eider bei Reimersbude überfallen wurde, ist gestern ihren schweren Verletzungen erlegen. Die Flensburger Mordkommission steht – nach wie vor – vor einem Rätsel. Es gibt bis heute keinen Hinweis auf den Täter, der mit äußerster Brutalität vorgegangen ist. Die junge Frau wurde von mehreren

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