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Eidernebel

Eidernebel

Titel: Eidernebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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Schlägen eines stumpfen Gegenstandes am Kopf getroffen. Für sachdienliche Hinweise bittet die Kriminalpolizei Husum um Ihre Mithilfe.‹
     
    *
     
    »Weißt du eigentlich, dass auf Eiderstedt 18 Kirchen stehen?«, fragt Stephan Mielke, während er aufs Gas tritt und mit dem Dienstwagen gleich hinter der Kurve an einem Traktor vorbeizieht. Dicke Dreckbrocken klatschen an die Frontscheibe, die aus dem Profil der mächtigen Hinterreifen durch die Luft geschleudert werden.
    »Nee, wusste ich nicht«, antwortet Swensen, gleich nachdem der Kollege den Überholvorgang beendet hat. Die Fahrt geht durch Uelvesbüll. Abgelegen am Innendeich, am Ende des Dorfs, steht die St.-Nikolai-Kirche. Der Blick des Hauptkommissars fällt auf das halbe Dutzend Windräder, die den Himmel über den Hausdächern dominieren.
    »Nördlich der Elbe gibt es nirgends so viele Kirchen, wie hier auf Eiderstedt«, beginnt der Oberkommissar erneut.
    »Möchtest du mir irgendetwas mitteilen?«, murmelt Swensen.
    »Wie mitteilen?«
    »Na, geht es um die Kirchen und unsere Morde …, oder was?«
    »Ich quatsche ganz gerne auch mal nicht nur über Arbeit, Jan. Ich wollte nur sagen, dass die vielen Kirchen auf Eiderstedt den ungeheuren Wohlstand bezeugen, der im 17. Jahrhundert in der Bauernschaft herrschte. Damals, als auch Friedrichstadt aufgebaut wurde, da war das hier eine einzige Kornkammer.«
    »Und das kommt von Friedrichstadt?«, fragt Swensen und wundert sich über seinen Kollegen, der während einer Ermittlung meistens ähnlich schweigsam ist wie er selbst.
    »Das war einer der Gründe, dass Friedrichstadt 1621 förmlich aus dem Boden gestampft wurde«, erklärt Mielke mit Eifer in der Stimme. »Die neue Stadt sollte zu der Handelsmetropole im Norden werden. Die Eider hatte damals europäische Bedeutung. Von hier aus ging der Handel ins Rheindelta nach Holland, Flandern, Nordfrankreich und bis nach England. Wenn man hier heute so durchfährt, hat man den Eindruck, dass sich nur noch Fuchs und Hase Gute Nacht sagen.«
    Ohne weiteren Gegenverkehr geht es über die schnurgerade Straße am nördlichen Außendeich entlang. Erst am Schleusenhaus macht sie eine leichte Kurve und Mielke bremst herunter. Swensen schaut zu seinem Kollegen hinüber, der offensichtlich im Moment wieder schweigsamer geworden ist.
    »Wieso bist du eigentlich plötzlich Experte fürs Mittelalter, Stephan?«, fragt er in die Stille.
    »Ich bin doch kein Experte«, wiegelt Mielke ab.
    »Na hör mal. Du wirfst hier locker mit historischen Jahreszahlen um dich. Wer weiß denn schon, dass man 1621 angefangen hat, Friedrichstadt aufzubauen?«
    »Ich beispielsweise. Ich bin eben auch an anderen Sachen interessiert.«
    »Mir ist aufgefallen, dass immer, wenn während unserer Frühbesprechung das Wort Friedrichstadt fällt, Rudolf dich entweder anstößt oder dir zuzwinkert.«
    »Einmal Kriminalist, immer Kriminalist, oder?«
    »Richtig, aber du weißt, ich bin auch Buddhist und übe mich in Achtsamkeit. Außerdem warst du mit Rudolf bei den Ermittlungen in Friedrichstadt, da zähl ich einfach eins und eins zusammen.«
    »Und was kommt am Ende bei deiner Rechnerei heraus?«
    »Dass es da einen engeren Zusammenhang zwischen Friedrichstadt und dir geben könnte. Ich tippe mal ganz frech, es gibt da jemanden, der dich für die Geschichte der Stadt begeistert, oder?«
    »Manchmal bist du mir unheimlich, Jan.«
    »Und, habe ich recht?«
    »Das ist eigentlich privat«, sagt Mielke mit verschmitztem Gesichtsausdruck, »aber bevor irgendwelche unausgegorenen Gerüchte durch die Inspektion kursieren. Also, ich hab jemanden kennengelernt, in Friedrichstadt. Sie macht dort Stadtführungen in Holländertracht. Aber häng das bitte nicht an die große Glocke, dass wäre ein gefundenes Fressen für Silvia.«
    »Ein Buddhist übt sich täglich im Schweigen, Stephan.«
     
    Während der Oberkommissar den Dienstwagen am Richtungsschild ›Osterhever 6 km‹ nach rechts steuert, kommt Swensen die Erinnerung an die kleine hutzlige Gestalt von Lama Rinpoche. Er sieht sich in der Runde der Schüler im Meditationsraum des Schweizer Tempels sitzen. Jedes Mal bevor der Meister seine tägliche Belehrung begann, lächelte sein gesamter Körper. Dann schloss er meistens die Augen und sprach:
     
    »Meditation ist eine 24 Stunden währende Aufgabe. Erst wenn ihr fähig seid, die Einfachheit wahrzunehmen, braucht ihr euch nicht mehr ständig zu beobachten. Erst dann könnt ihr die Erfahrung eines

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