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Eidernebel

Eidernebel

Titel: Eidernebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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Stimme hörte, schlug mein Herz bis zum Hals«, platzt es aus Lisa Blau heraus. »Das Dumme war nur, Herr Döscher hatte nicht gesagt, ob sie mich sehen wollen.«
    »Und wie ging es dir damit?«
    »Schlecht! Aber, obwohl ich eine Heidenangst hatte, habe ich sofort zurückgerufen und es hat sich eine leise Frauenstimme mit ›Hallo‹ gemeldet. ›Hier ist Lisa Blau‹, habe ich gesagt. ›Wir freuen uns, Sie kennenzulernen. Mein Mann und ich haben Ihren Wunsch besprochen und sind uns einig, dass es im Sinne unserer Tochter wäre‹, hatte Frau Döscher mir dann mitgeteilt. Ihre Stimme klang sehr emotionslos.«
     
    Der Regionalzug aus Hamburg rast über den Bahnübergang in Richtung Husum. Auf der blauen Diesellok klebt ein riesiger Werbeaufkleber von Radio RSH. Das Blinklicht erlischt. Wenig später passiert der Wagen der Journalistin den Ortseingang von Koldenbüttel. Hinter Bäumen taucht die weiß gekalkte Kirche auf. Die Straße macht einen weiten Bogen. Nach dem Einparken gehen die beiden Frauen den gepflasterten Weg hinauf. Die Kirchentür ist olivgrün und mit Eisenbeschlägen verziert. Beim Eintreten empfangen sie Orgelklänge von Bach. Der Pastor geht die Sitzbänke entlang und legt Gesangsbücher auf die Sitzflächen. Über ihm an der Wand hängt ein auffälliges Epitaph, auf dem das Porträt von Martin Luther hervorsticht. Lisa Blau bleibt wie angewurzelt stehen und starrt ungläubig auf das Gemälde, das einen jugendlich anmutenden Reformator zeigt, der geschützt unter dem Flügel eines Engels steht.
    Die Journalistin begrüßt den Pastor mit einem herzlichen Handschlag: »Hallo, Hans-Peter! Lange nicht gesehen. Das ist Frau Blau.«
    »Pastor Hudemann, ich freue mich Sie zu sehen«, stellt der Kirchenmann sich der Frau vor. Als sie nicht antwortet sagt er mit Blick zur Orgelempore: »Wir gehen besser nach draußen, Herr Thiel, unser Organist, übt heute besonders laut.«
    Maria Teske folgt dem Pastor in Richtung Empore, während Lisa Blau noch zum Schnitzaltar eilt. Es dauert eine Ewigkeit, bis sie sich wieder davon losreißen kann und mit völlig verklärten Augen zu Maria Teske und dem Pastor zurückkommt.
    »Warum möchten Sie die Familie Döscher kennenlernen, Frau Blau?«, fragt Pastor
    »Ja, warum eigentlich«, überlegt Lisa Blau laut. »Ein Gefühl in mir sagt, Marions Herz hat alles getan, um mich nach Hause zu ihrer Familie zu führen. Mir ist, als würde ein Teil von ihr – mit mir – zu Ihnen heimkehren.«
     
    »Wir standen vor der Kirchentür und Lisa Blau fragte den Pastor, ob es sein kann, dass ihre Herzspenderin diese Kirche gekannt habe. Er habe sie selbst konfirmiert, bestätigte der Pastor. Lisa Blau erzählte darauf von ihrem Gefühl, dass sie gerade eben im Kirchenschiff gehabt hatte, nämlich, dass sie die Kirche kennt, obwohl sie noch nie hier war.«
    Im Büro des Chefredakteurs ist es mittlerweile mucksmäuschenstill. Selbst Siebenhüner lauscht gespannt den Ausführungen von der Kollegin, als sie von der Begegnung mit der Familie Döscher berichtet. Nur Think Big hängt wie üblich teilnahmslos in seinem Drehstuhl.
     
    Lisa Blau und Maria Teske folgen Frau Döscher in das bieder eingerichtete Wohnzimmer, in dem Herr Döscher bereits wartet. Sie dürfen auf dem Sofa Platz nehmen und Frau Döscher setzt sich neben Lisa Blau.
    Das Herz der Tochter sitzt neben der Mutter, denkt Maria Teske und hört, wie Frau und Herr Döscher verlegen über die Anreise und das Wetter reden.
    »Ihre Tochter lebte in Hamburg und hat Indologie studiert?«, fragt die Journalistin, um das Gespräch in eine andere Richtung zu bringen.
    »Ja, unsere Tochter war schon vier Jahre aus dem Haus. Alles was mit Indien zu tun hat, war ihre Leidenschaft«, erzählt Frau Döscher mit gefasster Stimme. »Sie war gerade von einer Reise durch Rajasthan zurück, als sie hier auf Besuch war. Sie … sie wollte nur einen kurzen Spaziergang auf dem Deich machen …, als … als …«
    »Ich habe während der Operation von Indien geträumt«, unterbricht Lisa Blau die schmerzhafte Situation. »Ich habe einen Tempel gesehen, in dem unzählige Ratten herumliefen.«
    Frau Döscher zuckt zusammen. Sie will etwas sagen, doch bevor sie ein Wort herausbringt, kommen ihr die Tränen. »Davon hat Marion uns erzählt«, sagt sie dann schluchzend. »Sie ist in dem Tempel gewesen. Es soll vor lauter Ratten gewimmelt haben, über tausend, hat sie gesagt, und die wurden von den Indern mit Reis und Milch gefüttert.«
     
    »Also,

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