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Eidernebel

Eidernebel

Titel: Eidernebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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den beiden den Weg zur Kirche hinauf. Die mit blauen Quadratornamenten verzierte Kirchentür ist nicht verschlossen.
    »Die meisten Kirchen auf Eiderstedt sind in der Zeit von April bis Oktober geöffnet«, erklärt Swensen, als er das erstaunte Gesicht der Profilerin wahrnimmt. »Daran haben offensichtlich selbst die Morde nichts geändert.«
    Angespannt folgt der Hauptkommissar den beiden Frauen durch die Holztür. Seit der Mordnacht ist er nur einmal wieder vorn im Chorraum gewesen. Sobald er die Holzbank in der ersten Reihe sieht, hat er sofort das Gesicht des toten Mädchens vor Augen. Doch bevor der Schauder sich richtig festsetzen kann, wird hinter ihm erneut die Kirchtür aufgestoßen.
    »Herr Swensen«, hört er eine bekannte Stimme.
    Noch während er sich umdreht, weiß er, dass es Pastor Claßen ist, mit dem er damals hier zum Tatort gefahren war. Er hatte vorgestern einen Termin für den heutigen Tag mit ihm vereinbart.
    »Herr Pastor, wie geht es Ihnen?«, fragt Swensen mit mitfühlender Stimme, »und wie geht es ihrer Gemeinde nach diesem schrecklichen Vorfall?«
    »Eine schwere Frage, Herr Swensen. Für mich haben die Gottesdienste seither etwas Bedrückendes gehabt, als wenn sich das Böse an diesen Ort eingeschlichen hat und nicht weichen will.«
    »Das tut mir leid. Wir versuchen wirklich alles, um diese Kirchenmorde endlich aufzuklären«, sagt Swensen und stellt dem Pastor seine beiden Kolleginnen vor.
    »Manchmal hab ich so einen merkwürdigen Gedanken«, grübelt der Kirchenmann nachdenklich, »als wenn … als … ach, kommen Sie doch bitte mit zum Altar, ich möchte Ihnen gerne etwas zeigen.«
    Der Pastor schreitet an den Holzbänken entlang und sein Körper taucht kurz vor dem Altar in die schrägen Lichtstreifen, die durch das vordere Fenster fallen. Plötzlich erstrahlt der Raum in einer mystischen Friedlichkeit, als wäre er nie durch sinnlose Gewalt entweiht worden. Swensen fühlt sich mit einem Mal wie einer der Heiligen Drei Könige, die vor das Allerheilige getreten sind und sich im Glanz der goldbemalten Figuren spiegeln.
    »Wenn Sie bitte den Mittelteil des Altars ansehen, ganz oben rechts«, erklärt Pastor Claßen und deutet mit dem Finger auf die geschnitzten grünen Ranken. »Gleich unterhalb der gekrönten Marienfigur gibt es eine Teufelsgestalt, der ein Blatt vor den Augen hängt. Ich denke, das zeigt wie blind und fern der Teufel von Gott ist.«
    Swensen braucht einige Zeit, bis er die kleine schwarze Flügelfigur auf einem grünen Hügel entdeckt. Helene Kleins Augen irren weiterhin über das Schnitzwerk, bis der Hauptkommissar ihr behilflich ist, den versteckten Teufel zu finden.
    »Und hier oben, auf dem linken Seitenflügel, steht Jesus vor Pilatus. Der wäscht seine Hände in Unschuld, während unten in seinem goldenen Thron, in einer Art Mauseloch, ebenfalls eine Teufelsgestalt kauert.«
    »Das Böse, das sich eingeschlichen hat?«, fragt Helene Klein vorsichtig.
    »Manchmal glaube ich, es gibt einen symbolischen Zusammenhang mit dem, was hier passiert ist«, antwortet der Pastor nachdenklich. »Aber das ist vielleicht ein zu abwegiger Gedanke.«
    »Vielleicht auch nicht«, sinniert die Profilerin. »So abwegig finde ich ihren Gedanken gar nicht. Die Psyche eines Täters handelt nicht ohne seinen Verstand. Nehmen wir einmal an, er kannte diese Teufelsfiguren. Vielleicht haben die ihn inspiriert, seine Tat gerade an diesem Ort zu begehen.«
    »Immerhin hat die Mordserie hier begonnen«, ergänzt Swensen.
    »Vielleicht ist das der Ansatz!«, bricht es aus Helene Klein heraus. »Diese Kirche ist mehr als geeignet, um gerade hier eine proaktive Strategie zu versuchen.«
    »Eine proaktive Strategie?«, meldet sich Silvia Haman mit ironischem Unterton zurück.
    »Ich meine, wir sollten die Möglichkeit der Medien ausnutzen. Beispielsweise könnten wir einen Gedenkgottesdienst für die Opfer organisieren. Nach meinem ersten Eindruck ist die strategische Lage der Kirche für so ein Vorhaben besonders geeignet, sie ist von allen Seiten gut einsehbar und wir können sie, ohne aufzufallen, problemlos beschatten. Ich bin mir mittlerweile ziemlich sicher, dass unser Täter die Presseberichte über die Ermittlung verfolgt. Es könnte ihn reizen, zu solch einer öffentlichen Veranstaltung zu kommen.«
    »Könnten wir eventuell auf Ihre Mithilfe zählen, Pastor Claßen?«, fragt Swensen.
    »Schon in der Bibel steht: Du sollst nicht töten; wer aber tötet, soll dem Gericht verfallen

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