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Eidernebel

Eidernebel

Titel: Eidernebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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verloren.‹
    Für einen kurzen Moment ist das Rätsel, das er hier unbedingt lösen wollte, vergessen. Irgendwie interessiert es ihn vielmehr, wer diese Frau gewesen ist. Aus der Schule weiß er noch, dass der Große Nordische Krieg von 1700 bis 1721 wütete. Dänemark und Schweden waren sich wegen des Herzogtums Schleswig in die Haare geraten.
    Zu jener Zeit muss diese Frau noch ein kleines Mädchen gewesen sein, denkt er. Noch etwas, was ich unbedingt im Internet nachschauen will.
    Hallo, Michael, ruft eine zweite Stimme, weswegen bist du hierher gekommen? Das Jahrhundert des Todestages. Die Anzahl der Buchstaben des Grabsteinspruchs. Der Monat ihrer Geburt.
     
    *
    Zwei Stunden waren Stephan Mielke und Jan Swensen beharrlich im Nieselregen von Haustür zu Haustür marschiert, hatten den Bewohnern das Phantombild ihres mutmaßlichen Täters unter die Nase gehalten und waren der Lösung, wer die Person ist, um keinen Schritt näher gekommen. Jetzt fühlen sich beide wie zwei begossene Pudel. Swensen ist heilfroh, als er endlich wieder im trockenen Dienstwagen sitzt.
    »Manchmal frage ich mich ernsthaft, warum ich diesen Job hier eigentlich mache«, knurrt Stephan Mielke missmutig und steckt den Zündschlüssel ins Schloss.
    »Ganz einfach«, grinst Swensen, »weil du dich dafür entschieden hast, mein Lieber.«
    Stephan Mielke verharrt mit dem Schlüssel in der Hand, lehnt sich trotzig zurück und sagt spöttisch: »Der freie Wille ist doch nur eine Illusion!«
    »Sagt?«
    »Unsere Profilerin Helene Klein!«
    »Helene Klein? Wirklich?«
    »Ich hab mich mit ihr unterhalten. Übrigens eine kluge Frau, finde ich. Obwohl, das mit dem unfreien Willen hat sie von so ’nem Hirnforscher, einem gewissen Mar… Mar… Markowitsch. Der behauptet: Wir sind zwar jene, die handeln, aber dass trotzdem die Frage offen bleibt, warum wir eigentlich so oder so handeln.«
    »Und? Warum handeln wir?«
    »Weil wir ein Produkt unserer Vergangenheit sind, zusammengesetzt aus Genen, frühkindlichen Erfahrungen, Erziehung und den Ansprüchen der Gesellschaft, in der wir aufwachsen. Wir können also gar nichts dafür, dass wir Kriminalbeamte geworden sind. Nur ein Hauch anders, und wir hätten genauso Bankräuber werden können.«
    »Da würde ich entschieden widersprechen«, hält Swensen dagegen. »Dieser Markowitsch hat ja recht, dass unsere Natur durch die Gesetze der Physik festgelegt ist, aber unser Wille ist nicht Gegenstand dieser Gesetze und wir können daher frei handeln.«
    »Sagt Buddha, oder?«
    »Sagt kein anderer als Immanuel Kant. Das buddhistische Weltbild ist jenseits von einem freien oder nicht freien Willen.«
    »Das ist doch Unfug, Jan, wo soll denn der Wille sein? Hört sich an wie ›Jenseits von Gut und Böse‹. Hab ich damals schon nicht kapiert, als ich noch Nietzsche gelesen hab, in meiner Sturm-und-Drang-Zeit. Helene hat mir jedenfalls von dem US-Neuropsychologen Adrian Raine erzählt, der auf Gehirntomografien von 41 Mördern einen reduzierten Stoffwechsel im Frontalhirn nachweisen konnte. Und jetzt kommt’s, diese Region ist wesentlich für Mitgefühl, Ethik und Verantwortung zuständig.«
    »Und? Das sagt nur dann etwas aus, wenn der Geist vom Gehirn erzeugt würde. Anscheinend sieht Herr Markowitsch das genauso. Der Buddhismus vertritt da eine entgegengesetzte Sicht. Für den ist der Geist auf der Ebene seiner Natur vollkommen frei. Bloß solange wir diese Ebene nicht realisiert haben, bleiben wir in unseren Umständen gefangen. Nur die Idee von einem unabhängigen ICH hält uns in der Illusion eines freien oder unfreien Willens. Erst wenn wir diese Vorstellung überwunden haben, wird dieses Paradox verschwinden und es gibt dieses ICH nicht mehr, das unbedingt zwischen einem freien oder keinem freien Willen entscheiden will.«
    »Kein ICH? Jan, ich bin Stephan Mielke! Und wenn nicht, dann bin ich gespannt, wer uns jetzt nach Husum fährt?«, grinst Mielke, startet den Wagen und dreht das Licht an.
    Während ihres Gesprächs hat die Dämmerung eingesetzt und mittlerweile ist es bereits ziemlich dunkel. Der Oberkommissar verlässt gerade Tetenbüll in Richtung Oldenswort, als das Handy von Swensen klingelt. Der Kriminalist fingert es aus der Regenjacke, meldet sich und anhand seiner Antworten wird Mielke sehr schnell klar, dass etwas im Busch sein muss.
    »Wir müssen wieder umkehren, Stephan«, bestätigt Swensen seine Vorahnung, »wir müssen sofort nach Kotzenbüll rüber. Thiel, unser Organist, soll vor

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