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Eidernebel

Eidernebel

Titel: Eidernebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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auf und stürztest dich hinein, dein zartes Leben sollte untergehen in den kalten Wassern!
    Doch der Gott des Stromes, fürchtend den mächtigeren Gott, der selbst das Meer erglühen macht, trug dich auf seinen Armen sanft empor und legte dich auf die blühenden Kräuter seines Ufers. – Nahmen nicht oft die Götter die Gestalt der Menschen an? – – Vielleicht nahm er die meine, und mir träumte nur, ich sei es selbst gewesen. O, süße Psyche, ich hätte dich an keinen Gott zurückgegeben!‹
     
    Auf der Treppe in den ersten Stock hat sich das Wort ›Ungeheuer‹ im Kopf des Hauptkommissars festgesetzt.
    Eine ungeheuerliche Aussage, einen Gott als Ungeheuer zu betiteln, denkt er. Klingt ein wenig wie der Aufruf zur Rebellion, einer Rebellion gegen die kosmischen Gesetze. Und Psyche lässt sich von den Schwestern dazu verführen. Und auch der Künstler hat die gleichen frevelhaften Gedanken. Er sagt: ›O, süße Psyche, ich hätte dich an keinen Gott zurückgegeben.‹
    Swensen betritt sein Zimmer, entzündet die Teelichter auf seinem kleinen Altar, verbeugt sich, indem er die zusammengelegten Hände vor die Nase führt, und setzt sich im Lotussitz auf sein Meditationskissen.
     
    »Wir verbeugen uns nicht vor dem Buddha, denn der Buddha
ist kein weltlicher Gott. Wir verbeugen uns, um zu erkennen, dass es Bedeutenderes gibt als uns selbst. So reinigen wir unseren Stolz, den wir in zahllosen Leben angesammelt haben, indem wir dachten: Ich bin besser als andere – Ich habe recht – Ich bin der Wichtigste.«
     
    Mit den Worten im Ohr nimmt Swensen den Holzschlägel in der Hand, doch bevor er ihn gegen die Klangschale schlägt, hält er mitten in der Bewegung inne.
    Was hatte diese Klein noch über die Eigenschaft eines Sadisten gesagt? Sein oberstes Ziel ist es, Macht auszuüben. Die Leiden, die er dem Opfer aufzwingt, lassen ihn selbst groß werden, versetzen ihn in einen ekstatischen Zustand von Allmacht. In dieser Hochstimmung fühlt er sich allen überlegen, wird zu einer Art Gott, zu einem Herrscher über Leben und Tod, kann alle Schranken durchbrechen, beliebig oft und beliebig lange.
     
    ›O, süße Psyche, ich hätte dich an keinen Gott zurückgeben.‹
     
    Er will die Frau für sich haben, der Bildhauer, überlegt Swensen. Will der Täter auch nur etwas ›für sich haben‹, etwas besitzen, das er an keinen Gott zurückgeben muss? Ist das vielleicht der Hintergrund für sein Bestreben nach Überlegenheit? Er erobert, raubt und tötet, weil er Gott leugnen will?
    Swensen spürt, wie sehr ihn seine Gedankenspiele innerlich aufwühlen. Er ahnt tief im Inneren, dass er sich auf einer Spur befinden könnte, einer Spur, die in eine andere Richtung weist. Die Kollegen und er sind bisher immer davon ausgegangen, der Täter habe sich die Kirchen ausgesucht, um in einer Wahnvorstellung Gott etwas zu opfern. Aber vielleicht sind seine Taten das genaue Gegenteil, vielleicht will er damit einem Gott trotzen, ihm zeigen, wie überlegen er ihm ist.
     
    *
     
    Silvia Haman macht ein verkniffenes Gesicht. Die letzten zwei Stunden war sie betont wortkarg und auch jetzt hockt sie nur stumm hinter dem Lenkrad, während die rasante Fahrt am nördlichen Seedeich in Richtung Uelvesbüll entlanggeht. Swensen führt ihr Schweigen auf die Anwesenheit von Helene Klein zurück, die ebenfalls stumm auf der Rückbank sitzt.
    »Es gibt insgesamt 18 dieser alten evangelischen Kirchen auf Eiderstedt, Helene«, unterbricht der Hauptkommissar die etwas gedrückte Stimmung. »Sie sind alle vom Baustil her so ähnlich wie die, die wir gerade in Osterhever gesehen haben.«
    »Ziemlich viele für so ’ne kleine Halbinsel«, stellt die Profilerin trocken fest. »Gibt es dafür eine Erklärung?«
    »Kollege Mielke hat mich gerade historisch ein wenig auf Vordermann gebracht«, erklärt Swensen. »Also, die Kirchen sind das Verdienst der Bauern im Mittelalter. Die waren so reich, dass sie damals sogar rheinischen Tuff für die Zierfenster oder Marmor aus dem belgischen Namur über die Eider hierher schaffen ließen. Der Taufstein in der nächsten Kirche ist beispielsweise aus Namur. Wenn du mehr darüber wissen willst, rede einfach mit Stephan, der ist ein wandelndes Lexikon für solche Sachen.«
    »Du meinst unseren Stephan?«, platzt es aus Silvia heraus, als sie gerade den Dienstwagen vor der Uelvesbüller Kirche abstellt.
    »Stephan weiß wirklich gut Bescheid«, bestätigt der Hauptkommissar. »Zum Beispiel hat er mir vor ein paar

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