Eiertanz: Roman (German Edition)
ein Haus mit einer Schaufensterscheibe, auf der – ich fuhr langsamer – ein fröhliches Schwein abgebildet war, das … Ich hielt mitten auf der Straße an und setzte zurück, tatsächlich, ich hatte richtig gesehen: ein Schwein, das sich die Fingernägel lackierte. Darunter stand in geschwungenen Buchstaben: Metzgerei/eigene Hausschlachtung/Nail-Art.
Ich parkte einige Meter entfernt, schlenderte betont unauffällig am Schaufenster vorbei. Leberkassemmeln to go, las ich auf einem Schild an der Tür. Das Mädchen hinter der Metzgertheke hatte die Hände in die Taschen ihres Kittels gesteckt und sah mich erwartungsvoll an. Schnell ging ich weiter, zur zweiten Hälfte des Schaufensters. Ein Tisch mit einem Aufsatz, auf dem Nagellackfläschchen und Tuben standen, Scheren, Nagelfeilen und Pinsel. Eine alte Frau unter einer Trockenhaube, ein massiger Mann auf einem Klappstuhl, ein Handtuch um den Kopf. Die Frau, die ihm die Haare abtrocknete, trug einen weißen Kittel, hatte eine Dauerwelle und künstliche Nägel in gepunktetem Design, besetzt mit Strasssteinchen, die ich erst sah, als ich bereits im Laden stand. Und alle mich anstarrten.
»Grüß Gott«, sagte ich.
»Griaß Gott. Wos deafsn sei? Nägl oder Hoar?«
Den Moment, den ich brauchte, um ihren Satz zu verstehen, hatte die Frau mit den strassbesetzten Nägeln schon für eine Erkenntnis genutzt.
»Hoar, freili, gä?«
Der Termin bei dem Friseur mit den bebenden Nasenflügeln wäre tatsächlich für diese Woche gewesen. Ich hatte ihn abgesagt.
»Vielleicht ein bisschen nachschneiden. Nur die Spitzen«, hörte ich mich sagen. Ein erneuter Beweis dafür, dass auch die vernünftigsten Menschen in der Einsamkeit den Verstand verlieren konnten. Als ob ich noch einen Beweis gebraucht hätte. Bevor ich stammeln konnte, dass ich mich geirrt hatte und doch mehr an strassbesetzten Nägeln interessiert war, hatte sie mich schon in den Frisierstuhl vor dem Waschbecken gedrückt. Im großen Spiegel mein blasses Gesicht. Und die Gesichter aller anderen, die mich betrachteten. Der Massige mit dem Handtuch. Die Strassbesetzte im weißen Kittel. Die alte Frau unter der Trockenhaube. Das Mädchen, das durch die offene Tür zur Metzgerei hereingekommen war. Auf allen Gesichtern ein deutliches, fragendes: »Na? Und wo san nacha Sie hea?«
»Ich wohne in Neuenthal, im Haus von der Mirl.« Meine Stimme klang etwas zu hoch. Christiane schärfte uns immer ein, tief zu sprechen, besonders am Telefon. Kein Gepiepse, kein Gekicher.
»So.« Die Frau im weißen Kittel, anscheinend die Chefin des Salons, nickte befriedigt, winkte das Mädchen heran. Ich schätzte es auf höchstens sechzehn. Wie lange dauerte eine Friseurlehre? Zwei Jahre? Drei? Hatte sie überhaupt eine Friseurlehre gemacht, oder eine Metzger…?
»Äh … Moment, ich …«
Aber das Mädchen hatte mir schon einen fleckigen Frisierumhang umgelegt, drückte sanft meinen Kopf nach hinten.
»Bei der Mirl, ha?«, hörte ich die Stimme der Chefin. »Die arme Seel, wanns wohl zruckkimmt?«
»Aber sie ist doch … sie ist doch … Ist sie denn nicht …?«
»Die arme Seel«, sagte die Chefin wieder, dann rieselte Wasser über meinem Kopf, in meine Ohren, und die Hände des Mädchens massierten meine Schädeldecke. Das Handtuch, das sie mir nachher umlegte, roch leicht nach Wurst.
»Wo is nacha die Nichte?«
Die Stimme der alten Frau unter der Trockenhaube war hoch und heiser. Sie schaute mich aus trüben Augen an.
»Sie meinen … Christiane? Christiane Breitner? Die …« Gerade noch rechtzeitig verschluckte ich das Wort Erbin.
Die Chefin trat hinter mich, nahm mir das Handtuch ab.
»So? Nur die Spitzn, gä?«
»So a Hex«, sagte die alte Frau heiser. »So a ausgschamte …«
»Gä, Burgl, lass guad sein«, mahnte die Chefin, und der Massige lächelte mir zu. »Musst nix auf das Geratsche hier geben. Bist sicher aus der Stadt?«
Auf einen Wink der Chefin hatte sich das Mädchen seines filzigen, schulterlangen Haares angenommen, steckte einzelne Strähnen mit Klammern fest.
»Weißt was? Wenns dir abends zu fad wird dort am See, dann kommst einfach zu mir. Ich hab richtig guade Musik.«
Einen Moment verschlug es mir die Sprache. Auch, weil die Chefin meinen Kopf gerade ausrichtete und unsanft an den längsten Strähnen zog. Der Massige grinste.
»Net zu mir nach Haus. Ins Biafuizl. «
Das Biafuizl liege mitten im Wald, erzählte er, während das Mädchen geschäftig an seinen Haaren
Weitere Kostenlose Bücher