Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eiertanz: Roman (German Edition)

Eiertanz: Roman (German Edition)

Titel: Eiertanz: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Brendler
Vom Netzwerk:
freundlich, aber bestimmt, dass sie sich nicht vorstellen könne, wie es hier aussehe. Von den Eigenheiten der Nachbarn ganz zu schweigen.
    Ausgerechnet diesen Moment suchte sich Picco aus, um auf meiner Stuhllehne zu landen. Ohne einen Laut von sich zu geben, zerknirscht, wie vorhin, als Quirin ihn hereingetragen hatte. Quirin, mit nichts als einer knielangen Badeshorts bekleidet, hatte mich mit einem vorwurfsvollen, kornblumenblauen Blick bedacht und mir erklärt, er habe Picco in einem Baum am See entdeckt, vollkommen verängstigt und verwirrt. Er habe ihn lange locken müssen, bis er sich endlich habe einfangen lassen. Ob ich nicht wisse, dass ein Papagei hier niemals in freier Wildbahn überleben könne? Für einen Moment hatte ich wirklich so etwas wie ein schlechtes Gewissen. Und ich ärgerte mich, weil mir ausgerechnet in diesem Moment auffiel, dass dieser Freizeitsurfer, Landtierarzt und Papageienzurückbringer eine phantastische Figur hatte, breite Schwimmerschultern, einen flachen Bauch und schmale Hüften. Alles gleichmäßig gebräunt. Fehlte nur noch das Goldkettchen.
    »Nachbarn?«, sagte Christiane jetzt. »Meinst du diese Frau, die sich ab und zu um sie gekümmert hat? Vielleicht rechnet sie sich was aus, diese Nachbarin. Weißt du, meine Tante hat mir schon vor Jahren gesagt, dass sie mich als Erbin einsetzen wird, aber sie war ein bisschen … verschusselt, wahrscheinlich hat sie einfach vergessen, zum Notar zu gehen.« Picco tänzelte auf der Stuhllehne, und ich wünschte mir inbrünstig, ich hätte das Vorhängeschloss aus dem Baumarkt schon an seinem Käfig angebracht.
    In der Leitung ein Anklopfsignal.
    »Hör mal, Gina, mit so ein paar Hanseln vom Dorf wirst du ja wohl fertig werden, du bist doch sonst nicht so schüchtern. Was ist eigentlich mit dir los?«
    »Moment mal, gerade ruft jemand an«, sagte ich, berührte das Feld Annehmen auf dem Display, in der verblendeten Hoffnung, es sei Mirko, der mir erzählen wollte, er habe mich in seinem Traum nackt aus einer Torte steigen sehen. Oder mein persönlicher Schutzengel, der mir versprach, mich schnellstens zurück in mein altes, papageienloses Leben zu bringen.
    »Vögelchen, du hast mich neulich nicht gerade fein abgewürgt. Dabei wollte ich doch nur …«
    »Bist du wahnsinnig? Ich hab Chris auf der anderen Leitung! Und nenn mich nicht Vögelchen!« Ich schrie so laut, dass selbst Picco zusammenzuckte und drückte auf Abweisen.
    »Chris?«
    »Ja? Wart mal. Yes. I am with you in a minute …«
    Mein Kopf schwirrte vor Dingen, die ich Christiane sagen wollte, aber unmöglich sagen konnte: Das eben war dein Freund. Ich glaube, es macht ihn an, dass ich ihn immer wieder abweise. Dabei wollte ich schon das erste Mal nichts von ihm, damals nach dem Agenturfest, ich konnte nur nicht aufhören zu weinen, und deshalb hat er mich nach oben gebracht. Er wollte mich nur trösten. Ich schwöre dir, ich wusste nicht, wie weit das Trösten geht. Ich vertrage keinen Rotwein, das weißt du doch. Ich habe ihm sofort gesagt, dass wir das nie wieder tun dürfen. Glaub mir, ich bin nicht in ihn verliebt. Ich kann nichts dafür, dass er mich jetzt dauernd anruft. Mensch, Chris, redet er in deinem Bett auch so merkwürdiges Zeug? Und wie hältst du das aus?
    »Hör mal, Gina, ich hab Leute am Stand. Ich ruf dich später wieder an.«
    Christiane beendete das Gespräch, bevor ich noch irgendetwas sagen konnte.

    Auf der Straße lehmige Traktorspuren. Ich hatte Bruce eingeschaltet, nur um eine Stimme zu hören, aber er war unerwartet schweigsam. »Baby, du musst schon wissen, wo du hinwillst«, war das Einzige, was er von sich gab. Aber ich wusste es nicht, wusste nur, dass mir im Haus die Decke auf den Kopf fiel. Noch immer sah es in den meisten Räumen greislich aus. Dieses Wort hatte ich von Therese gelernt, und es traf den Zustand des Hauses genau. Ein Zimmer pro Tag zu schaffen, war ein schöner, aber kühner Gedanke gewesen. Ein Planquadrat pro Tag war schon eine Herausforderung. Inzwischen hatte ich ungefähr eine Million Zuckertütchen und Streichholzschachteln gefunden, eine beeindruckende Sammlung von Orangeneinwickelpapierchen aus aller Welt und eine riesige Kollektion von Buddelschiffen. Aber kein Testament. In Köln wäre ich jetzt in mein Lieblingscafé gegangen oder durch die Secondhandläden gestreift. Hier kurvte ich vorbei an Kirchen, Neubauten, Scheunen und Höfen, vereinzelten Geschäften. Eine Apotheke, eine Sparkasse, ein Elektroladen. Und

Weitere Kostenlose Bücher