Eifel-Connection
genaue Kenntnisse von der wirtschaftlichen Lage der Familie Jaax hat«, sagte ich.
»Das wird schwierig«, gab Emma zu bedenken. »Das konzentriert sich auf Banken. Aber warte mal, da habe ich doch den Jammerjungen. Kennst du den Jammerjungen?«
»Nein, wer ist das?«
»Also, ich nenne ihn so, weil er noch nicht zu wissen scheint, wohin er gehört. Also, ob er noch zu den Kindern gehört oder schon zu den ganz sanften Erwachsenen, also zu den Machos oder zu denen, die Männer mögen, oder zu denen, die noch zehn oder zwanzig Jahre brauchen, um sich zu entscheiden. Wenn du weißt, was ich meine.«
»Ich weiß nicht, was du meinst.«
»Du kannst es erleben. Ich zitiere ihn mal hierher.«
»Und das macht er?«
»Und wie. Ich bin seine wichtigste Kundin.«
»Dann verschwinde ich mal. Gute Nacht, ihr zwei.« Ninas handgeschriebene Seiten nahm ich mit. Als ich bereits im Türrahmen stand, drehte ich mich noch einmal um und fragte: »Hast du deinem Mann den Brief geschrieben?«
»Aber ja. Und mit Genuss.«
»Mit der Hand schreiben, das können nicht mehr viele. Es wird behauptet, dass sie so oft im Internet herumtingeln, dass sie vergessen haben, wie man Buchstaben malt.«
»Das ist der große Trend dieser Zeit: Werden auch Sie Analphabet!«, grinste Emma.
Zu Hause in Brück legte ich mich auf ein Sofa, versammelte meine Katzen um mich, gab ihnen ein Schlückchen Katzenmilch und etwas Dosenfutter, Geschmacksrichtung Huhn. Dann machte ich mich an Ninas Handschrift.
Lieber Baumeister!
Es tut mir leid, dass ich erst jetzt in der Lage bin, über Christian und seine Arbeit zu schreiben. Aber es ist sehr schwer für mich, immer an ihn erinnert zu werden, weil er dann vor meinem Auge aufersteht, und ich begreifen muss, dass er wirklich tot ist, und nie mehr zur Tür hereinkommt. Ich sehe ihn lachen, und ich spreche mit ihm, und wir wundern uns wieder über dieselben Geschichten. Das quält, das tut richtig weh, jetzt besonders, da sein Kind in mir ist. Manchmal habe ich panische Angst, dass ich das Kind verlieren könnte.
Aber darüber wollte ich nicht schreiben. Es geht eigentlich um diese Vulkanlandschaft, in der du und Emma leben.
Bei Christian war es immer schon so, dass er diese Landschaft liebte, und er musste auch nicht zum Grünleben überredet werden. Er hat das wirklich immer Grünleben genannt, ich finde, das ist ein sehr genauer Ausdruck. Er zeigte dann auf eine kleine, blaue Blume und sagte: Sieh mal, so mickrig ist Männertreu! Er war wirklich ein witziger Gefährte. Gefährte ist dafür das richtige Wort, das einzig richtige.
Ich habe ja schon gesagt, dass er der Meinung war, dass die Vulkaneifel um ihre Berge gebracht wird, die diese Landschaft ausmachen. Und er sagte immer: Tourismus ist die einzige Chance, die wir noch haben. Und Tourismus ist ohne Berge nicht denkbar. Er sagte immer: Es ist wie bei dem Gastwirt, der mit seinem Bier wirbt, aber keine Ausschankgenehmigung hat. Und die Vulkaneifel wird ja seit Neuestem auch Gesundheitslandschaft genannt. Was ist, wenn die Gesundheitslandschaft nicht mehr existiert?
Da ist ja nicht nur die Tatsache, dass gewisse Eifeler ihren Müll in die kleinen alten Tagebauten schmeißen und damit die Landschaft vergiften, da ist auch leider die Tatsache, dass die Leute in der Eifel sagen: »Das Einzige, womit unsere Gemeinde Geld verdienen kann, sind Basalt und Lavaerden!« Da haben sie auch recht, aber leider übersehen sie dabei, dass mit dem Verdienst gleichzeitig ihre Landschaft verschwindet. Und mit was sollen denn die Leute hier um Touristen werben, wenn die Landschaft verschwunden ist?
Da fällt mir ein, dass nach der letzten Festlegung der Gebiete, in denen abgebaut werden darf, auch ausgerechnet der Berg gehört, der dir wahrscheinlich in deiner engsten Heimat bestens bekannt ist, weil du ihn jeden Tag siehst. Der Reinertsberg. Und ich erinnere mich auch daran, dass ich mit Christian auf diesem Berg herumgelaufen bin, den alten, kleinen Steinbruch gesehen habe und auch die wunderbare Kuppel der großen Buchen dort. Da ist nicht nur ein Teil des Berges als abbaubar gekennzeichnet, eine Flanke zum Beispiel, sondern der gesamte Berg. Und genau das, sagte Christian, ist eine Sauerei, die wir nie mehr gutmachen können. Denn Berge wachsen nicht nach.
Ich habe auf dem Reinertsberg da oben auch nicht gewusst, dass du in dem Tal hier unten lebst, und dass ich eines Tages bei dir klingeln würde. Das Leben geht zuweilen seltsame Wege, finde ich.
Die
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