Eifel-Feuer
als seine Frau gestorben war. Da hat er wohl die ganze Hausapotheke leer gefressen. Warum sollte er sich umbringen? Er hat doch dich.«
»Ich reiche nicht«, sagte sie.
Ich widersprach nicht, weil sie recht hatte. »Hat er über Schmerzen geklagt? Oder über irgendwelche körperlichen Beschwerden?«
»Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Wieso bewegst du dich wie ein Dieb in der Nacht?«
Ich berichtete in groben Zügen, was mir widerfahren war, und konnte sie für einige Momente aus ihrer Erstarrung herausholen. Sie wurde energisch, straffte sich, stand auf. »Ich mache uns einen starken Tee.«
»Einen Augenblick. Erklär mir das bitte noch einmal. Ich meine, das mit Rodenstocks Impotenz.«
Sie seufzte tief. »Schließlich ist er eine lange Weile über Sechzig. Und Impotenz ist Impotenz. Und ich bin eine lange Weile über Fünfzig und manchmal eben auch so etwas wie impotent. Ich habe der Sache keine Bedeutung beigemessen. So etwas passiert, dann kann man lächeln und weiterleben. Aber er nahm es schrecklich ernst, weil er sein Leben lang wohl niemals impotent gewesen ist. Er sagte: Jetzt fange ich an zu versagen. Und wurde stumm. Das passierte, glaube ich, drei- oder viermal. Schließlich verschwand er. Werden wir ihn finden?«
»Ich glaube, ich finde ihn.«
»Und wenn er nicht mehr lebt?«
»Das will ich nicht denken.«
»Aber wir müssen das denken.«
»Ja, wir müssen«, gab ich zu. »Aber ich glaube trotzdem nicht, daß er so einfach geht. Laß mich etwas versuchen, denn ich vermute, daß er zutiefst verwirrt ist. Jemand wie er kann sämtliche menschliche Schwächen verstehen, begreifen und einkalkulieren. Eine eigene Schwäche nicht.«
»Und was willst du tun?«
»Laß es mich tun, dann sage ich dir, ob ich recht hatte.«
Sie nickte und ging an mir vorbei durch den Flur in die Küche. Im Vorbeigehen streichelte sie Dorothees Gesicht. »Sie sind lieb«, murmelte sie weich, und Dorothee war etwas verwirrt.
»Wo sind denn die Katzen?« fragte ich.
»In der Besenkammer«, erklärte sie. »Das Kellerfenster sollte doch für dich offen sein, oder?«
»Laß sie raus«, grinste ich und ging in das Wohnzimmer.
Es fiel mir schwer, mich zu konzentrieren. Zu aller Hektik kamen auch noch die Katzen angerannt und sprangen mir auf den Schoß, weil ich seit mindestens drei Ewigkeiten verschwunden war.
Rodenstock hatte Krebs. Alterskrebs, hatten die Ärzte gesagt. Sie hatten aber auch betont, damit könne er uralt werden. Ich versuchte mich zu erinnern, in welchem Krankenhaus er behandelt worden war. Er hatte es erwähnt, aber ich hatte es vergessen. Ich wußte aber noch ziemlich genau, daß er sich in Trier hatte behandeln lassen, und also tippte ich auf das Brüder-Krankenhaus, eine höchst katholische, fachlich gute Einrichtung. Ich rief dort an und verlangte mit der bei Journalisten so beliebten Selbstverständlichkeit: »Kann ich bitte einen Oberarzt im Bereich der Krebsbehandlung sprechen?«
»Da haben wir mehrere«, sagte eine Dame in der Vermittlung hoheitsvoll.
»Ich brauche nur einen«, sagte ich. »Es geht um einen Patienten. Er heißt Rodenstock.«
»Sind Sie ein Verwandter?«
»Junge Frau«, tönte ich lieblich, »Herrn Rodenstock habe ich nicht verlangt. Ich habe auch nicht gefragt, was er hat. Ich habe auch nicht gefragt, ob er überhaupt noch lebt. Ich will einen Oberarzt der Abteilung sprechen. Und zwar jetzt und nicht erst nach einem Quiz mit Ihnen. Klar?«
»Du lieber Gott«, begann sie, um mir einen Vortrag zu halten.
»Ich weiß nicht, ob der sich eingeschaltet hat. Geben Sie mir die Abteilung, die Oberschwester. Oder den Arzt direkt.«
»Das geht aber nicht so einfach, wenn Sie kein Anverwandter sind.«
»Oh Gott«, murmelte ich, »ihr Deutschen seid wirklich furchtbar. Rodenstock ist ein Freund, hat kaum noch Verwandte, will sicher mit mir sprechen, und ich kann erst in ein paar Tagen kommen, und im übrigen ...«
»Also, ich gebe Ihnen die Abteilung«, säuselte sie honigsüß.
»Na, das ist doch schon was.«
Dann kam Musik. So etwas wie »Freude schöner Götterfunken ...«
»Kirsch hier.« Kirsch war ein Mann. »Was kann ich für Sie tun?«
»Wahrscheinlich gar nichts«, sagte ich. »Ich möchte mit meinem Freund Rodenstock sprechen. Und sagen Sie bitte nicht, daß der unters Datenschutzgesetz fällt. Er wird Ihnen die Eier abreißen, wenn Sie mich nicht verbinden.«
»Wie bitte?« Kirsch war entsetzt.
»Tut mir leid. Kann ich mit Rodenstock sprechen? Wie geht es ihm?
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