Eifel-Feuer
das Gesicht und weinte laut. Dann schrie er. »Ich verfluche dich, Gott. Ich hasse dich! Ich will so ein Leben nicht. Wieso nimmst du mir dieses Kind? Wieso? Was gibt dir das Recht dazu? Er hatte doch noch gar kein Leben, Gott.« Er schlug wieder die Hände vor den Mund und sagte etwas unter großem Schluchzen, das ich nicht verstand. Er hockte in der Sonne, hatte sein Hemd ausgezogen, und der Schweiß lief in Bächen über seinen Rücken.
Ich stand zwanzig Schritte bewegungslos hinter ihm und wagte es nicht, ihn zu stören. Plötzlich empfand ich es als ganz gleichgültig, ob der Mensch vor mir ein Neonazi war oder nicht. Er hatte das Recht auf diese wütende, seelenfressende Trauer.
Mechernich wiegte seinen Oberkörper in großem Schmerz hin und her und wurde in dieser Pendelbewegung langsamer und ruhiger. Schließlich schneuzte er sich die Nase, warf das Taschentuch beiseite, stand auf, dehnte sich, streckte die Arme aus. Es war so, als versuche der Mann sich auf sich selbst zu besinnen.
»Ich habe Ihren Sohn gefunden«, sagte ich ohne jede Betonung.
Er drehte sich herum, war nicht überrascht. »Haben Sie mich gesucht?«
»Ja, das habe ich. Ich will aber nicht stören.« Es war mir zuwider, mit ihm sprechen zu müssen. Es gab Sekunden, in denen ich meinen Beruf haßte.
»Sie stören nicht«, sagte er. Er griff nach seinem Hemd und zog es über. »Kannten Sie ihn?«
»Nein. Ich wußte, daß es ihn gab, aber ich kannte ihn nicht. Ich war schon in den Räumen, in denen er gelebt hat. Er war ein begnadeter Maler.«
»Ja, das war er. Das hat er wohl von meiner Frau geerbt. Mit Kunst habe ich es nicht.« Er setzte sich neben einen wilden Rhabarber, zog eine Schachtel Davidoff aus dem Jackett und zündete sich eine an. »Ich war nie hier, noch nie. Aber das war ja auch nur eine Marotte von ihm, das wollte er ja an den Nagel hängen, das hat er mir versprochen. Junge Leute haben manchmal so Marotten. Und außerdem hatte er ja den Auftrag. Und den nahm er sehr ernst. Er mußte ja hier leben.«
Ich war verwirrt, wollte schon ostentativ fragen, was er damit meinte, aber ich schwieg, weil er schon weitersprach und weil er sich benahm, als sei ich gar nicht da.
»Wir haben ihn ja nicht mehr sehen können, weil die Leute gesagt haben, sein Schädel sei ganz kaputt. Er ist wohl mit dem Schädel gegen einen Felsen gestoßen. Richtig in voller Fahrt. Da half auch der Motorradhelm nicht, da hilft eben nichts mehr.« Während er redete, bewegte er sich nur, wenn er die Zigarette zum Mund führte, um daran zu ziehen.
»Wie haben Sie ihn denn gefunden?« fragte er plötzlich nahezu sachlich.
»Er lag auf einem schmalen Weg«, sagte ich. »Neben seinem Motorrad. Ich konnte nichts tun, ich konnte gar nichts tun. Er hatte es hinter sich, er war ... er war gestorben. Er sah nicht so aus, als habe er Schmerzen gehabt.«
»Können Sie mir die Stelle zeigen?«
»Ja, gerne.«
Ich setzte mich neben ihn, zog eine Pfeife aus der Tasche und begann sie zu stopfen. Ich war dankbar, daß ich meinen Händen etwas zu tun geben konnte.
»Er war seltsam, ganz seltsam«, sagte Mechernich leise. »Ich habe mal gesagt, daß auf der Erde nur die Rasse überlebt, die hart und klug genug ist, um zu überleben. Bei den Tieren und bei den Menschen. Ist doch so, oder? Da hat er gemeint, ich wäre ein Nazischwein. Wirklich. Nazischwein. Er hat mich richtig angeschrien. Ich hätte keine Ahnung, von nichts hätte ich eine Ahnung. Und ich würde dauernd davon reden, daß Hitler gar nicht so schlecht gewesen war. Stimmt ja auch, glaube ich auch. Aber er war richtig wütend auf mich.« Er versuchte zu lächeln. »Woher sollen die jungen Leute auch wissen, daß immer die Sorte siegt, die zäh ist, sich durchsetzt und kämpfen kann. Na ja, ich habe ihn laufenlassen, habe gesagt: Er muß sich die Hörner abstoßen. Aber er war ja auch sehr sensibel. Und dann kam dieser Auftrag, und ich dachte: Jetzt packt er es, jetzt zeigt er, was er kann. Und kaum hat er die Chance, da ...« Er fing wieder an zu schluchzen und schüttelte den Kopf über so viel Ungerechtigkeit in der Welt. Dann war er erstaunt über sich selbst. »Ich erzähle Ihnen das alles. Tut mir leid.«
»Ist schon gut«, murmelte ich. »Ist ja auch nötig, daß man mal platzt und redet, oder? Wissen Sie, eigentlich hätten wir ihn wegjagen müssen, aber wir konnten es nicht. Er kannte die Pflanzen und Bäume und Tiere. Und er malte das alles. Wir wollten ihn nicht verjagen. Er war ja auch sehr
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