Eifel-Gold
Senkel, der redet unentwegt Schmalz und hat Augen wie ein totes Pferd.«
»Wo ist der Kaffee?« fragte Bettina.
»Ich helfe Ihnen«, bot sich Unger schnell an.
»Das ist eine gute Idee«, lobte ich und marschierte hinüber in mein Arbeitszimmer. Einigermaßen verzweifelt ließ ich mich in meinen Sessel fallen. So viel Besuch! Drei Leute im Haus, das muß man sich mal vorstellen! Krümel strich um meine Beine, und ich tröstete sie: »Wir müssen jetzt hart sein, da müssen wir durch!« Um mir zu beweisen, daß ich nicht der einzige war, der mit akuter Melancholie schwanger ging, legte ich Mahlers Lied von der Erde auf, um es dann schleunigst durch die Dutch Swing College Band zu ersetzen, die die Lage jedoch auch nicht in den Griff bekam.
Wie das an superwarmen Wochenenden so sein kann, tauchte plötzlich mein Bürgermeister in der Tür auf. »Falls du eine Flasche Bier im Eisschrank hast, nehme ich dein Angebot an und setze mich fünf Minuten«, lud er sich ein.
»Hast du was erreicht? Gibt's Neues von der Witwe Bolte?«
»Nicht die Spur.« Er schüttelte den Kopf. »Sie hockt zu Hause und kocht nichts mehr. Sie sagt, alles Irdische sei unrein, und singt ununterbrochen Marienlieder. Nein, kein Platz in Sicht. Die vom Altenheim sagen ganz klar: Wir haben in Notfällen Aufnahmepflicht, aber in diesem Fall ist eine Klinik zuständig. Die Kliniken in Daun, Gerolstein und Wittlich wiederum sagen: Wir nehmen akute Psychiatrie-Patienten nur und nur so lange, bis sie durch Medikamente ruhiggestellt sind. Mehr nicht!«
»Und die Kliniken in Andernach, Schieiden oder Neuenahr?« warf ich ein.
Er zündete sich eine Zigarette an: »Geht nicht, das mache ich nicht. Sie stammt aus unserem Dorf, war ihr Leben lang hier und ist ja meistens auch ganz normal. Wenn ich sie jetzt irgendwo jotwede unterbringe, ist sie im Eimer. Dann wird sie wirklich meschugge. Oh, verdammt, was hat mich bloß dazu gebracht, hier den Bürgermeister zu machen?«
»Hast du jemanden, der sie gelegentlich betreut? Essen kocht und so?«
»Kättchen macht das. Ich gucke auch manchmal, aber das ist doch alles nicht das richtige.«
»Was sagt denn der Arzt?«
»Was soll der sagen, der ist kein Facharzt, der dröhnt sie zu, und das war es dann. Wenn sie die Tabletten verdaut hat, geht alles von vorne los. Was macht der Geldraub?«
»Was soll er machen? Alle reden, keiner weiß etwas. Weißt du etwas? Setzen Sie eine Belohnung aus?«
»Sie wollen achthunderttausend bieten, heißt es. Ganz schönes Taschengeld. Hast du einen Schimmer, wer es gewesen sein könnte?«
»Niemand hat einen Verdächtigen. Hilft es dir, wenn ich zwischendurch der Witwe Bolte auch mal das Essen mache?«
Er nickte und trank von dem Bier. »Ich habe Gäste, ich muß zurück. Vielleicht kannst du zur Witwe Bolte rübergehen und mal mit ihr reden?«
»Mache ich. Und wenn du etwas von dem Zaster erfährst, sagst du es mir?«
Er versprach es mir und ging davon, voller Sorge über die Zukunft der Witwe Bolte.
Unger und die Bettina saßen vorn in der Stube und schienen schon ein Herz und eine Seele zu sein. Ich erklärte ihnen: »Ich muß eine alte kranke Frau besuchen. Unger, Sie legen den Schlafsack am besten hier in die Ecke. Ich habe die Bettwäsche in dem Schrank dort.«
»Ist gut«, murmelte er nicht sonderlich interessiert. »Wir fahren vielleicht noch nach Gerolstein in die Disco. Stört Sie das?«
Bevor ich antworten konnte, brach Bettina in Tränen aus: »Ist doch alles Scheiße«, schluchzte sie. »Ich bin aus meiner Ehe raus, ich wurde langsam verrückt, versteht ihr. Ich wußte nicht, wohin. Ich klapperte alle Mitschülerinnen ab, von denen ich weiß, wo sie leben. Aber die haben mich früher nicht interessiert, und jetzt können sie mit mir nichts anfangen, und ich ... Da dachte ich: Vielleicht kann Baumeister helfen ...«
»Ist schon in Ordnung«, beruhigte sie Unger ganz sanft. »Jetzt gehen wir erst mal in die Disco und sehen uns die Prinzen aus der Provinz an. Schwoofen wird dir guttun, oder?«
Sie schniefte und nickte, und ich sagte: »In der Glasschüssel auf der Garderobe liegt ein Hausschlüssel ... Ich verschwinde jetzt.«
Meiner Schätzung nach war es immer noch zwanzig Grad warm, viele Leute saßen in ihren Gärten, hatten Lichter in Gläsern auf die Tische gestellt und genossen die Friedlichkeit des Sommers. Als sie noch Bauern waren, hatten sie nie die Zeit gehabt, im Sommer nächtelang zu singen und zu feiern. Jetzt, da sie irgendwo arbeiteten
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