Eifel-Gold
und die Trecker verkauft waren, feierten sie gerne und sangen: »Am Brunnen vor dem Tore ...« Es klang immer wie eine Beschwörung. Wenn es warm wird, sind die Nächte von Samstag auf Sonntag endlos, nichts und niemand wartet, außer der Pfarrer am Sonntagmorgen.
Das Haus der Witwe Bolte stand einsam am Ende der schmalen Straße auf der linken Seite. Sie hatte keine unmittelbaren Nachbarn. Nach vorn hinaus sah sie auf das Dorf und die alte Kirche, nach hinten auf die Scheune vom jungen Christian Daun. Witwe Bolte lebte in ihrem kleinen, uralten Haus wie auf einer Insel.
Ich war erleichtert, denn ich sah kein Licht, hörte keinen Laut und wollte schon wieder umkehren, als ihr Lied durch die nur angelehnte Haustür tönte. »Meerstern, ich dich grüße, o Maria hilf ...« Sie sang frisch und klar wie ein sehr junges Mädchen, selbst die hohen Töne kamen deutlich und ohne Fehl.
Ich klopfte gegen die Tür, aber sie hörte mich nicht. Ich trat ein und sah sie in der Küche. Sie hatte das Licht ausgeschaltet, und auf dem Fußboden und dem Küchentisch brannten Teelichter, sicherlich alles in allem mehr als hundert.
Sie kniete auf dem Boden und sang mit sehr rhythmischen Kopfbewegungen. Sie drehte sich leicht zu mir, lächelte und wies einfach hinter sich. Wahrscheinlich wollte sie, daß ich mich hinter sie kniete. Das ließ ich sein, blieb stehen und wartete, bis sie drei Strophen gesungen hatte.
Bevor ich etwas sagen konnte, wandte sie lächelnd den Kopf und fragte: »Guten Abend, Herr Baumeister. Wollen Sie mit uns beten?«
»Das will ich nicht. Ich wollte nach dir sehen, weil man sagt, du bist krank.«
Sie war einen Augenblick lang still, schien nicht einmal zu atmen, dann drückte sie ihren sehr schweren Körper hoch und stand auf. »Ja, ich bin wohl krank. Aber die Leute meinen alle, ich bin verrückt. Dabei bete ich nur zum Erzengel Michael und zur heiligen Jungfrau.«
»Das ist sicherlich gut und schön ...«, meinte ich.
In diesem Augenblick kam Kättchen, die Frau meines Bürgermeisters, aus dem Schlafzimmer, stutzte und sagte dann: »Grüß dich, Siggi. Unser Klärchen hat jetzt ein frischgemachtes Bett. Und du? Kümmerst dich um den Geldlaster?«
»Ein bißchen, Kättchen, ein bißchen. Aber es sieht nicht so aus, als würde jemand damit zum Fundamt gehen.«
Sie lachte. »Damit kann man eine Bank aufmachen.«
»Dafür reicht es wohl nicht, aber die Portokasse wäre gut gefüllt. Sag mal, ist das nicht gefährlich mit den Teelichtern?«
Sie nickte. »Schon. Aber was willst du machen? Kaum bist du draußen, stellt sie neue auf und zündet sie an. Aber eigentlich ist Klärchen ja ganz vernünftig. Nur ißt sie zu wenig.«
Ich knipste das Licht in der Küche an. Die Witwe Bolte trug einen alten, verwaschenen Bademantel über einem weißen Nachthemd. »Wann hast du denn zum letzten Mal gegessen?« fragte ich.
»Ich brauche doch nichts essen, der Herr ernährt mich schon irgendwie«, antwortete sie zuversichtlich. Ihr Gesicht war schwer und glänzte ein wenig fettig, ihre Augen strahlten.
»Laß mal sehen«, meinte Kättchen. Auf dem Herd standen zwei zugedeckte Töpfe. In einem war Soße mit einer Art Krautwickel, im anderen Kartoffeln. »Das ist doch schon was«, erklärte das praktische Kättchen. »In zehn Minuten gibt es was zu essen.«
»Das kann doch der Siggi mit nach Hause nehmen«, schlug die Witwe Bolte keck vor. »Er ist doch allein.«
»Ich bin aber hier, um aufzupassen, daß du anständig ißt«, sagte ich. »Du hörst jetzt brav auf Kättchen. Mit wem redest du denn die meiste Zeit? Mit Maria? Oder mit dem Erzengel Michael?«
»Das kommt darauf an«, erklärte die Witwe Bolte ernsthaft. »Meistens natürlich mit Mutter Maria. Schließlich ist sie ja auch eine Frau. Manchmal aber auch mit Michael. Es kommt ... es kommt auf das Thema an. Meistens sind es ja Frauenthemen.«
Kättchen, eine deftige Frau in den Vierzigern, stand am Herd und rührte in den Töpfen. »Wo sie schon gerade von Mutter Maria redet. Hast du das von Mater Maria im Altenheim schon gehört?«
»Nein, was?«
»Die muß heute nachmittag richtig blau gewesen sein, richtig besoffen.«
»Mutter Maria? Die? Doch nie!«
»Doch, doch. Sie hat sich doch immer eine neue Küche für das Altenheim gewünscht. Und hatte keine Chance, sie zu kriegen, weil der Neubau soviel Geld verschlungen hat. Das Ding sollte sage und schreibe 130.000 Mark kosten. Nun hat sie heute irgendeinen Spender gefunden, der ihr das finanziert.
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