Eifel-Kreuz
ich ausgesprochen dämlich. Zu
sagen: »Frau Pawlek, Sie sehen sehr interessant aus!«, erschien mir wie blanker
Hohn.
Ich stellte das Glas Wasser vor sie hin und sagte: »Sie sehen
ausgesprochen hübsch aus.«
Sie errötete sanft und murmelte artig: »Danke.«
Ich schloss die blödeste Bemerkung an, die unter diesen
Umständen möglich war. »Thomas Steil hat sich in der letzten Nacht erhängt.«
Sie sagte nichts, sie erstarrte.
Ich stotterte herum: »Entschuldigung. Er war gestern
Nachmittag in das Generalvikariat in Trier bestellt und wurde fristlos
gefeuert.«
Sie überlegte einen Moment, nickte langsam und stellte
fest: »Das passt!«
»Was passt?«
»Dass er fristlos gefeuert wurde. Weil seine Ehe in einer
Krise steckt, weil sie nicht mehr zusammenleben, weil sie aber gemeinsame
Kinder haben, weil Caritas von der Kirche selbst nicht verteilt wird, weil sie
einfach unduldsam ist. Und weil sie gleichzeitig unter dem Diktat der
Sparsamkeit handelt. Ich gehe jede Wette mit Ihnen ein, dass der Arbeitsplatz
vom Thomas nicht wieder besetzt wird. Mein Gott, der Thomas! Das tut richtig
weh.«
»Seine Frau hat ihn heute früh am Morgen gefunden.«
»Haben Sie ihn ⦠haben Sie ihn gesehen?«
»Ja, habe ich. Wie er da hing, wirkte er wie ein Clown.
Ein schlabberiger grauer Anzug, eine grellrote Krawatte, unmögliche gelbe
Socken in schwarzen Halbschuhen. Ich frage mich immer noch, was das bedeuten
soll.«
»Es fehlte nur die rote Pappnase, nicht wahr?«, fragte
sie.
»Ja, das stimmt.«
»Die Pappnase dazu trug er vor vier Wochen, als die Kleinen
im Kindergarten ein Fest feierten.«
»Haben Sie ihn da erlebt?«
»Ja. Ich war mit Dickie dort und wir waren einer Meinung,
dass wir selten einen so guten Clown gesehen haben wie Thomas.« Sie dachte
einen Augenblick nach und strahlte plötzlich. »Wissen Sie was? Er ist nach
Trier gegangen, um sich feuern zu lassen. Er wusste, was passieren würde. Der
Clown ist ein Zeichen dafür, dass er sie verarscht hat. Das ist es!«
»Dann wäre es besser gewesen, er hätte sich weiter durchgebissen,
anstatt den Kirchenoberen zu erlauben, sich überlegen zu fühlen. Ich frage mich,
wie sie mit seinem Tod umgehen werden.«
»Ãberhaupt nicht«, sagte sie fest. »Sie werden kein Wort
darüber verlieren. Bestenfalls werden sie sagen, dass sein Leben und Tod seine
Sache waren, nicht ihre.«
Maria Pawlek erinnerte mich plötzlich an Thomas Steils
Ehefrau. Da war neben groÃer Traurigkeit auch viel Wut.
Mein Telefon störte. Clarissa sagte verlegen: »Papa, wir
sind schon in Koblenz.«
»Was heiÃt âºwirâ¹?«
»Na ja, Jeanne und ich. Was hast du denn geglaubt?«
»Nichts. Pass auf, im Bahnhof gibt es ein Restaurant. In
einer Stunde bin ich da.«
»Sie müssen weg, nicht wahr?«, fragte Maria Pawlek.
»Das ist leider richtig. Meine Tochter steht in Koblenz
auf dem Bahnhof und ich habe versprochen, sie abzuholen.«
»Das geht natürlich vor«, versicherte sie. »Ich komme ein
andermal wieder.«
»Das wäre schön«, sagte ich und meinte es auch so. »Würden
Sie mir einen Gefallen tun? Können Sie Dickie Monschan einmal fragen, ob sie
von einem Skandal weiÃ, der das Gymnasium betrifft?«
Sie stand auf, reichte mir die Hand und sagte: »Viel
Glück wünsche ich Ihnen.«
»Das kann ich gebrauchen«, murmelte ich.
Als sie weg war, verfluchte ich meine Tochter, was man
eigentlich als guter Vater nicht tun sollte. Ich weià das, aber ich richte mich
so selten nach mir.
Ich benutzte die neue, provisorische Autobahnauffahrt im
Liesertal zwischen Nerdlen und Daun. Eine langsam wachsende Brücke, die den
Steuerzahler einige Millionen kostete. Was sich da an Stahl, Beton, Schotter
und Teer durch die Landschaft fraÃ, war beeindruckend, wenngleich die Wunden,
die das schlug, mindestens ebenso beeindruckend waren. Aber der politische
Wille, die A1 unbedingt auf Tondorf zuzutreiben, war durch nichts zu stoppen gewesen.
Spezielle Wildzäune waren gebaut worden, für die dem Vernehmen nach pro
Kilometer etwa eine Million Euro hingelegt worden waren. Vor meinem geistigen
Auge sah ich meinen Landrat am Zaun stehen, wie er das Rotwild liebevoll beruhigte
und sanft zur nächsten Wildbrücke geleitete, die wiederum auch diese oder jene
Million gekostet hatte. Wenn die
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